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Schmecken fremde Küsse besser?

Interview HEIDE OESTREICH

taz: Die Forschung sagt: Immer mehr Paare trennen sich und die Menschen haben immer weniger Sex. Gibt es überhaupt eine Zukunft der Erotik?

Eike Gebhardt: Das Dilemma ist, dass Erotik heute zwangsverkoppelt ist mit erotikfremden Aspekten, wie Versorgung, Beziehung und Treue. Wenn wir das endlich auseinanderhalten würden, wäre schon mal eine gute Basis geschaffen. Dann kann man das erotische Gegenüber nämlich zum ersten Mal frei wählen: Man macht gleichsam ein Rollenangebot, der andere kann es annehmen oder nicht. Ein freier Handel.

Freier Handel mit Emotionen? Gibt’s das?

Jutta Brückner: Nein. Das ist die schöne Fantasie einer durchtherapierten Gesellschaft, die gleichzeitig im Zustand der Naivität geblieben ist. Wen man erotisch findet, hängt doch von emotionalen Bedürfnissen ab, die sich aus der Lebensgeschichte ergeben. Es gibt immer psychische Abhängigkeiten. Die muss man kennen und mit einbeziehen.

Gebhardt: Aber will ich denn wissen, wen ich liebe? Liebende erschaffen sich ein Gegenüber, genau wie Elvis Presley treffend sang: „Anyway you want me, that’s how I will be.“ Deshalb ist es überhaupt unwichtig, wer der andere ist. Liebende erschaffen einander.

Frau Brückner, ist das typisch Mann?

Brückner: So wie Eike Gebhardt es sagst, ist es typisch Mann. Darin steckt jede Menge Schwärmerei. Es funktioniert nämlich praktisch nicht.

Gebhardt: In der Liebe handeln wir immer „als ob“. Ist das schlecht?

Brückner: Man steigert sich in ein autistisches Feuerwerk hinein, weil der andere ein Reizauslöser ist. Das ist alles nicht schlecht ...

Gebhardt: Das gehört unterstrichen: Das ist alles nicht schlecht.

Brückner: ... nur findet der andere sich womöglich in diesem erotischen Konzept nicht mehr wieder.

Gebhardt: Muss er das? Oder sie? Ist das der Sinn der Erotik?

Brückner: Wenn die Begegnung über einen wunderbaren One-Night-Stand hinaus dauert, dann muss der andere sich darin wiederfinden. Das ist die Crux: Erotik will Rausch und Leidenschaft, ist aber auch verbunden mit der Sehnsucht nach Dauer. Zumindest wünschen sich das viele Frauen so.

Gebhardt: Verwechselst du da nicht Erotik mit Partnerschaft? Den Männern wird vorgeworfen, dass sie diese gesichtslosen Nackedeis wollen, aber es ist bei den Frauen haargenau so. Der Traum vom Märchenprinzen ist zwar nicht direkt sexuell, aber dieser Prinz hat auch keine Persönlichkeit, der hat auch nur eine Funktion.

Brückner: Ja, er soll mich in meinen Bedürfnissen befriedigen. Das ist der Traum von der Erlösung, die keine Mühe kostet. Trotzdem hofft man, dass die Erotik dauern möge. Und dazu gehört, dass man den anderen als Person wahrzunehmen beginnt.

Gebhardt: Das ist der Unterschied zwischen Partnerschaft, bei der ich wissen will, worauf ich „rechnen“ kann – und Erotik, die grundsätzlich auf Fremdes anspringt. Man kann oft mit einer Fremden viel intimer sein als mit einer vertrauten Person. Weil die fremde Person meine Träume noch achtet.

Brückner: Das ist aber nur die eine Seite der Intimität. Die andere ist, dass mich nur ein Mensch, der mich genau kennt, da berühren kann, wo ich mich selbst nicht kenne. Das, was du Intimität mit dem Fremden nennst, ist keine Intimität, sondern bedeutet nur, dass dein Traum nicht angetastet wird.

Gebhardt: Meine Sehnsüchte und Träume gehören doch zu mir als ganzem Menschen. Wenn der andere die nicht mehr achtet, dann fühle ich mich verachtet von ihm. Jede feste Beziehung ist – erotisch gesehen – fremdenfeindlich.

Brückner: Das heißt für dich: Du willstdu selbst bleiben um den Preis, dich nur auf den erotischen Rausch einzulassen, nicht auf eine Beziehung.

Gebhardt: Doch, aber als Partnerschaft.

Brückner: Ohne Erotik? Nur zur gemeinsamen Aufzucht von Nachkommen?

Gebhardt: Warum nicht? Dieser Schmarrn einer Schicksalsgemeinschaft, in der beide einander alles bedeuten sollen, ist gerade mal 200 Jahre alt. Andere Kulturen kennen das gar nicht.

Aber die offene Zweierbeziehung, die Sie da fordern, hat sich nie durchgesetzt.

Gebhardt: Aber was ist das für eine Einstellung gegenüber dem anderen Menschen: Ich kann dir erotisch nichts mehr bieten, dennoch sollst du kein begehrliches Auge werfen auf deines Nachbars Mann oder Weib.

Brückner: Ich wehre mich gegen diesen hausbackenen Bratkartoffelbegriff von Beziehung, wo die Erotik keine Rolle mehr spielen soll, man nur noch muffelig nebeneinander am Frühstückstisch sitzt, sich nichts mehr zu sagen hat und nur noch Einkaufslisten hin- und herschiebt. Ich suche nach einem Zustand zwischen dem erotischen Rausch und der asexuellen, liebevollen Freundschaft. Wie kann man geschickt Lücken offen lassen, damit beide ihre Träume und ihre Freiheit behalten? Loki Schmidt rät jedem jungen Paar: Bloß kein gemeinsames Schlafzimmer. Das kann ich aus meinen Erfahrungen nur unterstützen. Es fehlt uns nicht an der sexuellen oder erotischen Kultur. Was uns im Moment fehlt ist eine Kultur der Beziehung. Aber ich bezweifle, dass es dafür noch ein allgemeines Konzept geben kann.

Gebhardt: Es fehlt sehr wohl an einer erotischen Kultur, einer ganz allgemein „angebotsorientierten“ statt fordernden Umgangsform. Wenn man ständig werben muss, ist das anstrengender, aber es achtet den anderen mehr.

Die meisten Menschen sind wohl eher bequem. Einen anderen Menschen sicher zu haben, scheint ein großes Bedürfnis zu sein.

Gebhardt: Aber das hat nichts mit Erotik zu tun. Man kann durchaus ein erotischer Nomade und ein liebevoller, fürsorglicher Freund zugleich sein.

Brückner: Offensichtlich gibt es das Bedürfnis nach beidem, man muss sich einfach umgucken. Wir sind bedürftige Individuen. Für die Art von Beziehung, die du dir wünschst, braucht man Menschen, die es nicht gibt. Bei denen alles geklärt ist.

Gebhardt: Wovon geklärt? Verstand und Gefühle lassen sich steuern – nur der körperliche Glücksanspruch lässt sich nicht derart vereinnahmen.

Brückner: Wir leben immer noch in einer Gesellschaft der Not und nicht der Freiheit.

Gebhardt: Wir sollen doch über die Utopie reden.

Nein, über die Zukunft.

Brückner: Ich will aber nicht dastehen wie der blamierte Marxist, der sich sagt: Wie schön war die Idee vom Sozialismus, leider hat sie nicht geklappt, weil die Menschen dafür nicht geeignet waren. Deshalb sehe ich mir an, wie Menschen heute ihre Erotik, Liebe und Sexualität leben. Ich glaube nicht daran, dass es Erotik ohne Leid gibt, dafür sorgt schon die biologische Kurve.

Gebhardt: Das glaube ich auch nicht. Aber im Gegensatz zur Beziehung als häufiger Quelle unsäglichen Leids ist die Sexualität die einzige verlässliche Glücksquelle in unserem Leben – notfalls auch partnerlos.

Brückner: Warum soll Erotik nur außerhalb einer Beziehung stattfinden? Ich versuche eher, das Leid in einer Beziehung zu mindern, indem ich nicht jedes erotische Angebot außerhalb der Beziehung wahrnehme, wenn ich meinen Partner dadurch verunsichere und verletze.

Gebhardt: Seien Sie risikofreudig, sagt der Wirtschaftsminister immer.

Brückner: Nein, ich brauche einen Bereich im Leben, wo die Gesetze von Angebot und Nachfrage nicht gelten. Es kommt hinzu, dass erfolgreiche Frauen heute etwas haben wollen, was Männer immer bekommen haben, nämlich die emotionale Erholung. Dass jemand auch mal kocht, zum Beispiel. Irgendwo muss ich mein müdes Haupt mal hinlegen dürfen – und ich will nicht nach Hause kommen, um da nur eine Katze vorzufinden.

Gebhardt: Das ist eure Utopie? Dass die Männer für euch kochen?

Brückner: Ja, auch. Aber vor allem, dass sie unsere Bedürfnisse wahrnehmen und nicht nur unsere Fantasien.

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