: Erogene Zonen im Rachen
■ Endlich – das Warten hat ein Ende: Erster Lyrikband mit Verdauungs-fördernden Gedichten in Bremen vorgestellt / Herausgeberin ist die „Liederpoetin“ Ellen Terwey
„Bisher gab es kein Buch mit Gedichten rund ums Essen!“ verkündet die Herausgeberin von „Essen ist ein Gedicht“, Ellen Terwey. Die zu Buchvorstellung und Verpflegung erschienene Journaille ist empört. Zum einen, weil nur Bananen, Äpfel und Ananas serviert werden, die sich niemand zu verspeisen traut, da das Obst so wunderbar mit den toskanafarbenen Wänden und der Tischdecke harmoniert. Ich ess' doch nicht nicht die Deko auf! Und: Was würde ich mit der Bananenschale anstellen? Liebevoll über den ornamentösen Notenständer drapieren? Wie zufällig auf der Flügeltastatur arrangieren? Das machen die in den Lifestyle-Magazinen für unbeschäftigte Bankiersgattinnen auch immer. Sieht sonst so ikeamäßig unbewohnt und ausgestellt aus. Essensreste hingegen suggerieren Leben.
Mehr noch als der enttäuschende kulinarische Programmpunkt empört uns das Fehlen eines Buches über bedichtete Nahrungsaufnahme. Skandal! Ein Glück, dass die „Liederpoetin“ Terwey sich damals von einem Zehn-Etagen-Gericht, serviert in Bambuskochtöpfen (?), zu folgendem Gedicht inspirieren ließ: „Der Turm ist ein Lustschloss/in zehn Schatzkammern/verstecken sich/mundgerechte Gaumenkitzler/...“ Genau. Eine muss es sagen. GAUMEN-KITZLER! Liebe geht durch den Magen, weil die Klitoris sich im Rachen befindet. Aber Frau Terweys Erkenntnis geht noch ein bisschen weiter: Hinter dem Ausspruch „Das Essen ist ein Gedicht“ verbirgt sich eine tiefe Wahrheit. Bereits in der Bibel heißt es: „Und das Wort ward Fleisch“ (Joh. 1, 14). Längst ward auch Fleisch Wort. Über 400 essbare Gedichte standen zur Auswahl. Aber nicht alle schreiben mundgerecht. Peter Rühmkorf etwa is(s)t viel zu intellektuell. Karin Kiwus nicht. Im Abschnitt „Der letzte Gang“, in dem sich auch Reflektionen über „Die Scheissmaschine“ von Ernst Jandl nachlesen lassen, heißt es: „Die eigene Verdauung/ beruhigend einfach/von Fall zu Fall/dazuhocken und nachzuvollziehen/was man vor ein zwei Tagen vielleicht/jeweils zu sich genommen hat/rote Beete zum Beispiel Spargel Spinat.“ Das ist zwar nicht zu intellektuell, aber ist es beruhigend, wenn die eigenen Ausscheidungen rosarot sind oder wie ein ganzer Kuhstall riechen? Ich bin in solchen Fällen beunruhigt, weil ich stets vergesse, was ich mir einverleibt habe: Was kümmert mich mein Frass von gestern?
Unter vielversprechenden Kapitelüberschriften wie „Grüne Bud-dhas am Obststand“ gibt es lyrische Leckereien über Basilikum („basilikum!/allein schon/das wort erfrischt“), Schildkrötensuppe, Fish and Chips – zubereitet von den üblichen Verdächtigen Neruda („Ode an die Pommes frites“), Ringelnatz, Celan, Morgenstern, Kaleko, Grass und anderen. Das Buch ist überwiegend gehaltvoll, appetitlich angerichtet und mit Zeichnungen garniert. Dazu empfehle ich einen nicht zu teuren Chianti, denn dezent wird mit den „Abendnachrichten“ von Enzensberger daran erinnert, dass den Kindern in Afrika dieses Buch nicht schmecken wird.
Und damit die Bremer VeganerInnen-Fraktion jetzt nicht von Ökoschlachtern auf Liederpoetinnen umsteigt („Vegetarier sind grausame, gedankenlose Menschen/Jedermann weiß, dass eine Möhre schreit, wenn sie geraspelt wird/...“) , rate ich zu einer „abgespeckten“, fleischlosen Ausgabe. Und das Wort ward Soja.
Eiken Bruhn
Buchvorstellung am 20. März um 19 Uhr im Foyer des Bremer Theaters. Ellen Terwey serviert am Flügel vertonte Kostproben aus der Gedichtsammlung.
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