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Der Mann als Wurm, Mädchen, Haarehasser

■ Die Tänzer der Berliner Companie Rubato schubsen sich, schmiegen sich aneinander und rasieren sich sogar

Es fängt an mit einer dieser Geduldsproben für das Publikum, die tendenziell sadistisch genannt werden müssen. Die drei Tränzer der Berliner Companie Rubato lungern auf Bank und Boden der Bühne des Schauspielhauses herum wie gelangweilte Vorstadt-Halbstarke: schwarzer Anzug und weißes Feinripp-Unterhemd, Klamotten wie geschaffen für Großkotztum inkusive Potenzschweiß von Mackern. Und dazu brettert der Sound von Prodigy, jener teufelhornbehaarten Techno-Metaller.

Definitiver Höhepunkt der ersten fünf Minuten: Einer, der uns den Rücken zuwendet, raucht eine Zigarette. Aus dem Publikum hier und da ein „Leiser“ oder „Buh“. Dann, während Rubato-Mitgründer Dieter Baumann in Anlehnung an Francis-Bacon-Zerr-Bilder (das erzählt er später im Publikumsgespräch) wie ein gequälter Wurm kunstreich über den Boden kriecht, gibt Marc Rees ein kleines Sprech-Kunststück: Vereinsamte Sätze – darunter so malerische wie: „Ein zerschmetterter Torso hält ein blutiges Ding in Händen.“ –: formieren sich langsam zu einem kompakten Text, dessen Wörter nach drei Wiederholungen durcheinandergewirbelt werden.

Das alles schmeckt zu diesem Zeitpunkt schwer nach Konzept, einem Konzept, das sowieso wieder kein Schwein versteht. Doch am Ende wurde aus diesem Abend eine leichte, anrührende Nummernrevue, deren Bauteile genauso munter zwischen Dur und moll, Allegro und Largo, Pianissimo und Fortissimo pendeln wie eine Barock-Suite. Sogar Zwischenapplaus gab's.

Von manchen Kritikern setzte es Hiebe, weil die nur das Aufwärmen altbekannter Männerklischees erkennen konnten, erzählt die ChoreographIN (!) des Stücks (und Rubato-Mitbegründerin) Jutta Hell. Was für ein Missverständnis. Denn „kiss me here (the brutality of facts)“, so der Titel, sollte nun wirklich nicht als tausendste Studie über das (gar nicht so arg) unbekannte Wesen Mann gesehen werden. Vielmehr spielen die Tänzer ebenso gekonnt wie entspannt mit männlichen und schwulen Attributen.

Zwei Männer, face to face: Gegenseitig schmieren sie sich Rasierschaum ins Gesicht, fachmännisch wie in der Wilkinson-Werbung, und ohrfeigen sich den Schaum wieder weg – nicht zu zart, nicht zu fest – bis lustige Flöckchen durch die Luft fliegen: Sowas schwebt zwischen Dick&Doof-Slapstick und Melancholie. In einer anderen Szene tippeln zwei Männer, fast nackt und dicht aneinandergeklatscht, ganz langsam an den Bühnenrand, nahe ran ans Publikum. Ihre Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt durch ein verrüschtes Mädchenkleid um die Hüften. Zum Glück denkt man hier bei Mädchenkleid aber nicht reflexartig wie ein Pawlowscher Hund an Missbrauch und Perversion. Vielmehr bildet der feine Stoff ein wunderbaren Kontrapunkt zum Körper Dieter Baumanns, der von Millionen von Muskelsträngen durchquert ist und als achtes Weltwunder in die Menschheitsgeschichte eingehen könnte; außerdem erzeugt der Stoff eine Ambivalenz von rührender Zärtlichkeit und Gehemmtheit.

Frühere Produktionen der Tanzcompanie, die in manchen Jahren die finanziell bestausgestattetste ganz Berlins war (200.000 Mark Zuschuss), wurden mancherorts als vergrübelt und gequält empfunden. Die aktuelle Produktion dagegen wechselt von wunderschön-wirbelnden, abstrakten, requisitenlosen Triotänzen zu launigen Anekdoten, etwa über einen Mann, der entdecken musste, dass sein one-night-stand-lover unterm Pulli eine eklige Körperbehaarung verbirgt.

Und dazwischen gibt Christian Wolz seine halb nervenzerrenden, halb faszinierenden strengen Vokal-Etüden über gänzlich unstrenge Alberheitsgeräusche zum Besten. bk

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