„Sie haben in augenfälliger Weise die Dimensionen verloren“

Ein Abiturientin beschwerte sich beim Landesschulamt über den Ausfall des Lateinunterrichts. Das Schulamt warf der Schülerin daraufhin Realitätverlust vor

Wenn sich SchülerInnen für ihre Schule engagieren, dann stößt das nicht unbedingt auf Gegenliebe des Landeschulamts: Im März vergangenen Jahres informierte die einzige Lateinlehrerin des Spandauer Hans-Carossa-Gymnasiums die Schulleitung, dass sie zum Sommer die Schule wechseln wolle. Der Grund: Sie ist alleinerziehende Mutter und wollte an einer Schule unterrichten, die näher an ihrem Wohnort liegt. Das Landeschulamt willigte ein, die Lehrerin verließ die Schule vor den großen Ferien.

Als der Unterricht nach den Sommerferien wieder begann, staunten die LateinschülerInnen nicht schlecht: Das Landeschulamt hatte keinen Ersatz gestellt. 10 Wochen, bis Ende November fiel der Unterricht aus. Erst dann gab es vorübergehenden Ersatz. Anfang Januar kam eine dauerthafte Kraft an die Schule.

Anne-Kathrin Müller, Schülerin der 13. Klasse an der Hans-Carossa-Schule, wollte sich mit dem Unterrichtsausfall nicht zufrieden geben. Gleich nach den Sommerferien schrieb sie an Bezirkstadtrat Gerhard Hanke, der beim Landeschulamt für die Spandauer Schulen zuständig ist. Im freundlichen Ton wies sie daraufhin, dass die Schule seit Anfang September keine Lateinlehrerin habe. Sie schrieb: „Die Folge ist Unterrichtsausfall in den Klassen 9 bis 13. Die Konsequenz für die Klasse 13 ist, dass das Latinum massiv gefährdet ist. Ist das zu akzeptieren? Die Lösung wäre eine Kooperation mit anderen Spandauer Schulen.“ Ferner merkte Anne-Kathrin Müller an, dass sie kein Einzelproblem schildere, sondern das Beispiel für die Gesamtproblematik an der Berliner Schule stehe. „Die Chance der Entwicklung der BRD von einer Industrie- zu einer Wissenschafts- und Forschungsnation dürfte irrelavant sein, wenn nicht die banalsten Anforderungen an Bildung erfüllt werden.“ Sie erwarte als Erstwählerin „keine Wahlwerbungssprechblasen sonden Taten“.

Das Landeschulamt hätte über so viel Engagement begeistert in die Hände klatschen müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Mitte September schickte der zuständige Sachbearbeiter eine Antwort: „Was den fehlenden Lateinlehrer angeht, wird Ihnen Ihr Schulleiter erklärt haben, dass für Ihre Schule eine Neueinstellung vorgesehen ist. Wir gehen davon aus, dass die Schule alle Maßnahmen ergriffen hat, für ihre Belange einen Vertretungsunterricht zu organisieren. Was uns allerdings Sorge bereitet ist die Tatsache, dass sie als Abiturientin hinsichtlich der Problemdarstellung in so augenfälliger Weise Dimensionen und Relationen verlieren, wenn Sie angesichts eines Personalproblems an einer Schule, alle Spandauer Schulen, ja sogar die Bundesrepublik in ihrer Entwicklung gefährdet sehen.“

Anne-Kathrin Müller ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie schrieb an die nächst höhere Instanz im Landeschulamt: Nicht sie, sondern der Sachbearbeiter habe die Relation verloren. Es freue die Schülerin besonders, mitteilen zu können, dass sie bisher durchgehend auf positive Resonanz gestoßen sei. nau