Pop für die Welt

Global Players aus Afrika: Youssou N’Dour und Khaled sind die beiden erfolgreichsten Musiker des Kontinents. Wer für den Weltmarkt produziert, muss aber auch Kompromisse eingehen können

von DANIEL BAX

„Man war schon sehr enttäuscht über das schlechte Abschneiden der afrikanischen Mannschaften“, gesteht Youssou N’Dour im Rückblick auf die Fußball-WM in Frankreich. „Fußball ist alles in Afrika. Gewinnt eine Mannschaft, hebt das sofort das Selbstvertrauen ins Unermessliche. Verliert sie, ist die Resignation grenzenlos.“ Dabei rührt er in seiner Teetasse. Dass er als Afrikaner den offiziellen Eröffnungssong schmetterte, hätte eigentlich als gutes Omen durchgehen können.

Youssou N’Dour, der einige Spiele im Stadion verfolgen konnte, ist bereits bei der Diagnose: „Den afrikanischen Mannschaften fehlt es an Erfahrung und an Konzentration. Wenn man in einem WM-Spiel führt, dann muss man die Strategie ändern und sich auf das Halten des Ergebnisses konzentrieren.“ Das bringt ihn auf den direkten Vergleich zum eigenen Metier: „Ich denke, mit den afrikanischen Musikern ist es wie mit den Fußballern – es geht um eine gewisse Standfestigkeit, etwa im Umgang mit den Plattenfirmen. Man muss verstehen, wie die Dinge laufen. Zum Beispiel, dass es wichtig ist, mit Journalisten über seine neue Platte sprechen.“ Genau dafür ist er schließlich nach Deutschland gekommen.

Youssou N’Dour hat nicht nur den Titelsong seines ersten internationalen Albums der Nationalmannschaft des Senegals gewidmet, als Musiker spielt er selbst längst in der ersten Liga. Von den Erlösen seiner Karriere hat er sich ein kleines Imperium errichtet. Er besitzt das bestausgerüstete Studio Westafrikas, Xippi genannt, und mit seinem Jololi-Label protegiert er Talente wie den Sänger Cheikh Lo, der in die Fußstapfen seines Gönners tritt.

Seinen Status als Superstar des Kontinents hat sich Youssou N’Dour kontinuierlich erarbeitet. Er steht nicht auf den Schultern von Giganten – er ist selbst einer. Ende der Siebzigerjahre machte er, damals noch ein Teenager, mit seiner Band Etoile de Dakar den Mbalax-Stil populär, eine Mischung aus lokalen Rhythmen und kubanischen Arrangements. Den Sound der Straße und des dörflichen Senegals, der Sabar genannten Feste, etablierte er erst zu Hause, um ihn dann, in einer verdünnten Version, dem Westen schmackhaft zu machen. Peter Gabriel war ihm dabei behilflich, den er 1987 auf dessen Welttournee begleitete. Seinen größten Erfolg feierte er aber 1994 mit „Seven Seconds“, einem Duett mit Neneh Cherry, das sich weltweit zwei Millionen Male verkaufte. Es war die Hit-Single seines letzten Albums „Wommat – The Guide“. Jetzt gilt es, das Ergebnis zu halten.

Mehr als fünf Jahre hat sich der heute 41-Jährige Zeit gelassen für das Nachfolgewerk. Was nicht heißt, dass er seitdem untätig gewesen wäre. In den letzten Jahren war er fast ständig auf Tour, weltweit. Außerdem hat er im Senegal seit „Womatt“ ganze vier Kassetten veröffentlicht, jedes Jahr eine. Für die Arbeitspausen besitzt er mit dem Thiossane in Dakar einen eigenen, florierenden Nachtclub. Den ungeschliffenen Hardcore-Mbalax, den er dort zum Besten gibt, enthält er seinen westlichen Hörern allerdings vor. Youssou N’Dour fährt zweigleisig. Oder, um in der Fußball-Sprache zu bleiben: Sein Standbein ist der Senegal. Mit dem Spielbein tanzt er auf dem Weltmarkt.

Auf seinen für den internationalen Verkauf konzipierten Alben geht die Entwicklung eindeutig weg vom jazzig-kubanisch gefärbten Mbalax-Sound früherer Tage. Weniger Bläser und vertrackte Rhythmen, dafür mehr Pop-Elemente. Noch immer trommelt die Tama, die Talking Drum, den Rhythmus. Aber Youssou N’Dour will nicht, dass sich die Fans auf seinen Konzerten die Beine verknoten. „Wenn ich Platten für den internationalen Markt produziere, dann bevorzuge ich einen Rhythmus, der aus dem Süden kommt und der ein bisschen einfacher ist“, erklärt er. Leicht verständlich ist deswegen schon der Titel des neue Albums. „Joko“ bedeutet so viel wie „Verbindung“ – und zwar „zwischen Dorf und Stadt“, wie es erläuternd heißt. Ein paar Stücke hat der Fugees-Chef Wyclef Jean produziert, und an zwei Stellen kann man im Hintergrund einmal Sting, ein andermal Peter Gabriel säuseln hören. In Umkehrung der üblichen Verhältnisse – meist ist es ja ein subalterner Drittweltler, der mit seiner Stimme die Kompositionen solcher Mainstream-Stars veredelt– fungieren die großen Namen als Lockvögel für den durchschnittlichen Pop-Konsumenten im Westen. Trotzdem wirkt Youssou N‘Dour in der durchformatierten Popwelt wie ein bunter Paradiesvogel.

Da geht es ihm nicht anders als Khaled, dem anderen Superstar des Kontinents. Auch dem Algerier gelang der Aufstieg aus der amateurhaften Kassettenkultur Afrikas in die Profiabteilung der Popmusik. Nur dass er im Unterschied zu Youssou N’Dour kein Doppelspiel betreibt. Seit Khaled nach Frankreich übergesiedelt ist, veröffentlicht er nur noch dort. Damit hat er konsequent auf das große Geschäft umgesattelt und sich von der schnellen Rai-Produktionsweise mit ihren billigen Synthie- und Drum-Maschinen-Klängen emanzipiert. Statt sich wie früher in Algerien mit einer Flasche Wein im Studio einzuschließen, um abends eine Kassette fertig zu haben, brachte er den Rai auf Hi-Fi-Niveau und mischte ihn nach Lust und Laune mit Pop, Rap und Reggae oder, neuerdings, mit Salsa.

Khaleds neuestes Album „Kenza“ legt Zeugnis ab von diesem Quantensprung. In Paris, London, Kairo und New York aufgenommen, ist es eine konsequente Fortsetzung seines Konzepts der Internationalisierung. Auf dem Coverfoto sieht man ihn, aus der Tür einer alten Limousine gebeugt, in der Pose eines mediterranen Rockabillys, mit spitzem Hemdkragen und Pomade in den Haaren. Die Rock’n’Roll-Insignien passen gut, eine Reminiszenz an das Image des Rai als musikalischer Ausdruck jugendlicher Rebellion und Delinquenz – denn sie wissen nicht, was sie tun. Doch Khaleds Platte klingt eher nach einem cleveren Sammelsurium einprägsamer Pop-Songs, teils aus der bewährten Kooperation mit dem Komponisten Jean-Jacques Goldman (aus dessen Feder schon der Hit „Aicha“ stammte), größtenteils aber aus der Zusammenarbeit mit noch relativ unverbrauchten Produzenten wie Steve Hillage und Lati Kronlund.

Erfüllt hat sich Khaled auf „Kenza“ manch alten Wunsch. So hat er mit der israelischen Sängerin Noa die Pazifistenhymne „Imagine“ in einer arabisch-hebräisch-englischen Fassung eingespielt, deren Kitschfaktor den des Originals noch einmal deutlich überschreitet. Allerdings sieht Khaled in diesem bisschen Frieden auch ein riskantes Statement, steht er doch bei islamistischen Hardlinern ohnehin schon nicht gerade hoch im Kurs. Ein anderes Mal wählte sich Khaled die junge Amar als Duettpartnerin, eine pakistanische Sängerin aus dem Umfeld von Londons so genanntem Asian Underground: „Amar repräsentiert wie Noa ein Land, das leidet. Darum fiel meine Wahl auf sie.“ Wobei vielleicht auch eine Rolle spielt, dass der indische Markt recht attraktiv scheint.

Auffällig an „Kenza“ ist aber auch der markante Einsatz von ägyptischen Streichern. Khaleds Aufnahmen mit einem ägyptischen Orchester in Kairo haben besonderen Reiz, berücksichtigt man, dass Ägypten in der arabischen Welt immer noch als das gilt, was die USA für Europa sind – Vorbild und kulturelles Epizentrum, das durch TV und Filme, Musik und Alltagskultur auf die Region ausstrahlt. Dass mit Khaled ein Außenseiter aus Algerien international so erfolgreich ist, wirkt dort wie ein Triumph der Peripherie. Selbst in den konservativen Emiraten am Golf ist Khaled heute ein gern gesehener Gast. Seine Success-Story versöhnt Araber aller Länder mit einer Moderne, die es nicht immer gut mit ihnen gemeint hat.

Diese Vorbildfunktion teilt Khaled mit Youssou N’Dour. Während aber Khaled als Stimme der Vernunft aus dem Exil predigt, ist Youssou N’Dour im Senegal eine Autoritätsperson, bei der sich selbst der Präsident manchmal Rat holt. In seinen Liedern mahnt er die Jugend zu Demokratie und Selbstdisziplin, lobt das Dorfleben, prangert Apartheid und Umweltfrevel an und setzt sich für Frauenrechte ein. Solch moralische Emphase ist in der afrikanischen Musik nichts Seltenes. Westliche Hörer brauchen allerdings eine Gebrauchsanweisung – man hört nur, was man weiß. Oder, wie es Youssou N’Dour formuliert: „Der Text ist für die Afrikaner. Die Musik ist für die ganze Welt“. So ist es für Kenner sicher relevant zu wissen, dass sein Song „Birima“, eine Ode an einen berühmten König, im Senegal ein großer Hit war, und dass darin Youssou N’Dours Griot-Erbe durchschlägt. Die Griots sind in Westafrika jene Kaste traditioneller Musiker, die sich einst ihren Lebensunterhalt mit Lobpreisungen auf ihre Herrscher verdienten. Oder dass Khaleds „El Harba Wine“, das im Duett mit Amar wie ein unbeschwertes Stück Hindi-Pop klingt, vom Protestsänger Idir stammt und schon 1988 von den Jugendlichen auf der Straße bei den Demonstrationen gegen das Regime in Algerien skandiert wurde. Der Text lautet: „Fliehen, aber wohin?“

Dass diese Dimension beim Kulturtransfer verloren geht, nehmen Khaled wie Youssou N’Dour in Kauf. Khaled singt auch deshalb auf Französisch, weil das in Frankreich die staatliche Radioquote so will. Youssou N’Dour dagegen singt, obwohl er besser Französisch spricht, lieber Englisch, weil er sich davon größere Chancen im globalen Wettbewerb verspricht. Für seinen Geschmack reden die französischen Plattenfirmen den afrikanischen Künstlern zu viel in ihre Arbeit rein. Er zieht dabei sogar eine Analogie zur Kolonialzeit: „Damals hatten die Engländer auch mehr Respekt vor den lokalen Kulturen. Die Franzosen haben dagegen ihre Sprache gleich zur Amtssprache erhoben.“

Khaled hingegen hat keine Angst vor der Assimilation. „Ich habe einen algerischen Pass, und möchte das auch nicht ändern. Aber im Ausland werde ich ganz selbstverständlich als französischer Musiker wahrgenommen.“ Was ihn nicht stört, ist für ihn der Unterschied ohnehin unerheblich. Auch Algerien war bei der Fußball-WM 1998 schließlich nicht dabei. Aber dass mit Zinedine Zidane ein Stürmer algerischer Herkunft für Frankreich im Endspiel zwei Treffer gegen den Titelverteidiger Brasilien markierte, hat ihn fast ebenso gefreut.

Khaled: „Kenza“ (Universal) Youssou N’Dour: „Joko“ (Sony Columbia)