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Unfall mit Todesfolge

Claus Peymann vertreibt Geister und renoviert das Berliner Ensemble: Er hat die Kantine modernisiert, das Brecht-Zimmer entrümpelt und Heiner Müller aus dem Spielplan gestrichen. Die Stimmung unter den Mitarbeitern ist schlecht: „Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich das Theater gewechselt“

Von ESTHER SLEVOGT

Angelika Ritter sitzt in der frisch renovierten Theaterkantine, die sich jetzt langsam füllt. Ein früher Samstagabend, es ist eine Stunde vor Vorstellungsbeginn: „Manchmal kommt es mir jetzt so vor, als hätte ich das Theater gewechselt“, sagt Angelika Ritter. Sie arbeitet seit 28 Jahren am Berliner Ensemble, dem Theater das so lange Mausoleum für große Dichter, große Ideale und große Lebenslügen war. Dem Theater, das trotzdem eine Aura hatte, der letztlich keine Wirklichkeit und keine schlechte Inszenierung etwas anhaben konnte. Dafür sorgten die Geister der verblichen Größen, die in gewisser Weise auch die Garanten waren für den Geist der Utopie. Jetzt herrscht Claus Peymann.

Angelika Ritter fing in den 70er Jahren als Schauspielerin am Berliner Ensemblean. Keine Hauptrollen: „Ich hätte auch an ein kleines Theater gehen können und große Rollen spielen. Aber das BE war mein Reisetheater. Betriebsausflug zu den Niagara-Fällen, wo gab‘s das denn in der DDR!“ 1991 gehörte sie zu denen, die für den Neuanfang, der eigentlich der Anfang vom Ende des alten BE war, gekündigt wurden. Als eine der wenigen, hat sie gegen diese Kündigung geklagt. „Über uns war ja der Westen gekommen, und ich war in einem Alter, wo ich für mich keine Chance mehr sah in dem Beruf.“ Seitdem ist sie Inspizientin, und hofft noch immer, eines Tages auch wieder spielen zu können. „Ich find‘s schon toll was der Peymann alles in Bewegung gesetzt hat. Das ganze Geld, der Umbau. Plötzlich ist das Theater wieder im Gespräch“, sagt sie. Und dann: „Er hat es wirklich geschafft, hier die Geister zu vertreiben.“ Angelika Ritters Gesicht verrät nicht, ob sie das richtig findet oder nicht.

Zweimal im Monat gibt es eine Führungen durch‘s BE. Werner Riemann leitet sie, eine Art Hausmeister honoris causa, der unter Helene Weigel auch mal Schauspieler war. Mit den Hausgeistern ist er sozusagen auf Du und Du. Wenn man sie hier überhaupt noch trifft. Von Heiner Müller blieb wenigstens eine Inszenierung übrig, Bert Brecht dagegen tritt nur noch als Museumsstück, wenn‘s hoch kommt als Akte in Erscheinung. Ansonsten sitzt er schweigend vor der Tür: „Tabori hat oft da draußen auf der Bank gesessen und mit ihm gesprochen“, erzählt Angelika Ritter.

In Brechts Turmzimmer ist es jetzt ziemlich zugig. Da fühlt sich kein Gespenst mehr wohl. „Ich finde gut, dass es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, das war ja der Gral!“ sagt Eva-Maria Böhm, seit 21 Jahren Souffleuse am BE. Die Möbel sind verschwunden, eine Wand hängt voll mit Gipsmasken alter Mitarbeiter. Nicht bloß Schauspieler, auch manch verdientes Mitglied der Technik ist dabei: vorsorglich alle hinter Glas. Das schützt sie nicht bloß vor Handgreiflichkeiten. Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, es soll auch die Betrachter auch schützen. Ob Peymann Angst vor Geistern hat?

Vielleicht musste deshalb auch die legendäre BE-Kantine so radikal modernisiert werden, dass sie jetzt nicht mehr ist als ein gedächtnisloser, toter Raum. Für manche ist das ein Sakrileg, das bloß vom Abriss des Berliner Stadtschlosses durch die SED übertroffen wird. „Ein Unfall mit Todesfolge“, meint Eva-Maria Böhm: „Nicht wieder gut zu machen!“

Beleuchtungsmeister Dietrich Baumgarten, seit 23 Jahren am BE, findet das ganze Theater jetzt so kalt und unpersönlich wie neue Kantine. „Manchmal denke ich, das ist nicht mehr mein Haus“, sagt er. „Ich bin hier nur noch angestellt. Mit dem Produkt hab ich nichts mehr zu tun.“ War das früher anders? „Ja“, sagt er nur. „Gib uns doch Licht auf die Bühne, Beleuchter! Wie/ können wir/ Stückeschreiber und Schauspieler bei Halbdunkel / Unsere Abbilder der Welt vorführen? Die schummrige/ Dämmerung/ Schläfert ein. Wir aber brauchen der Zuschauer Wachheit“, dichtete Brecht 1950. Im neuen BE wird für die Mitarbeiter der Technik nicht mehr gedichtet. Die Stimmung ist schlecht. Bis heute sind nicht mal ihre Aufenthaltsräume fertig, sie sitzen noch immer in Containern. „Ich bin auf Brechtenzug“, sagt Baumgarten: „Die neue Leitung hat das Haus total von seinen Traditionen abgeschnitten.“

Wenig ist erhalten geblieben. Der rot durchkreuzte deutsche Adler im Zuschauerraum beispielsweise, ganz oben rechts an den Proszeniumslogen. Da kann man sehen, wie praktisch dialektisch und wie undogmatisch einst Brecht den Bilderstürmern des Neuen Deutschland vormachte, wie es auch gehen kann: woanders wurden Schlösser gesprengt und Gebäude, die dem Emblem verbunden waren. Brecht strich es einfach durch. So war durch das Neue auch das Alte immer noch zu sehen. Und die Haltung der Neuen dazu gleich mit.

Hätten sich die eifrigen Renovierer des BE nicht ein bisschen davon abgucken können? „Kritik ist jetzt nicht mehr sehr gefragt“, meint ein alter Regieassistent, der weiter nicht genannt sein will. Dann zitiert er einen Zeitgenossen Brechts, den amerikanischen Autozaren Henry Ford: „Sagt mir eure Meinung! Es kann sein, daß ihr nachher nicht mehr hier beschäftigt seid. Aber mein tiefer Respekt wird euch sicher sein!“

Den Mythos BE hat so mancher westdeutsche Nachkriegstheatermensch durchs Leben geschleppt. Auch Claus Peymann auch. Schon in Bochum sah sein Theater aus, wie ein BRD-Exil-BE. Nicht bloß, dass hier Leute mit BE-Wurzeln arbeiteten: Matthias Langhof, Manfred Karge, Thomas Brasch und Heiner Müller. Auch auf dem Dach wehte eine Fahne, auf der „Bochumer Ensemble“ stand. Jetzt ist Peymann also im Ur-BE angelangt wie an einem Ziel. Und plötzlich findet man im BE das BE nicht mehr.

„Vielleicht muss man das ja alles so machen, damit es hier weitergeht“ sagt Angelika Ritter. „Aber es ist wie die Trennung von jemandem, den man sehr geliebt hat.“

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