: Wovor haben Studio Braun Angst?
■ Die Telefonstreich-Experten von „Studio Braun“ gehören zu den derzeit besten Komikern. Doch nur mittels Drohungen und roher Gewalt konnten sie bis heute ihre wahren Identitäten verbergen
Die Humorkritik gehört zu den schwierigsten aller journalistischen Gattungen. Dabei ist es nun beileibe nicht so, dass sie selbst komisch sein müsste, nur weil ihr Gegenstand es meist ist. Die Rezension eines Lyrikbandes muss ja auch nicht in Jamben, Trochäen oder Anapesten verfasst sein. Und selbst ein Hans Mentz bringt seine geneigten Leser zu kaum mehr als einem wohlwollendem Schmunzeln.
Das Problem ist der Gegenstand selbst. Der Witz ist eines der flüchtigsten literarischen Genres und als erzählter untrennbar an seine eigene Form der Aufführung gebunden. Aufschreiben lässt er sich deshalb nur mit Verlusten, beschreiben nur schwerlich, und selbst die Literaturwissenschaft geizt mit einem halbwegs systematischen Vokabular zur Erfassung verschiedener Pointentypen. Zum Glück gibt es jedoch Humoristen, über die es auch so schon genug, und das heißt: genug Skandalöses, zu berichten gibt. Zu den besten Gagstern, Possenreißern und Jokern, die uns derzeit zum befreiten, aber auch peinlich-berührten Prusten, Kichern und Lachen bringen, gehören nämlich drei Unbekannte, deren wahre Identität zu den wohl bestgehüteten Geheimnissen des weltweit operierenden BMG/Ariola-Unterhaltungs-Imperiums seit der Enttarnung der Residents gehört: Studio Braun. Mehrfach erhielten taz-Praktikantinnen computermanipulierte Drohanrufe obszönen Inhalts, nachdem sie versucht hatten, in der Konzern-Tiefgarage der Redaktion bekannte Promoter aus der Comedy-Abteilung abzupassen. Bis heute schweigen sie sich aus. Entweder aus tatsächlicher Unkenntnis. Oder aus Angst.
Studio Brauns Humor ist radikal anarchistisch, kommt ohne konventionalisierte Schlusspointen aus, lebt vielmehr von langsam sich aufbauenden Surrealismen – und trifft das Deutschland der Post-'89-Gegenwart dort, wo es am meisten wehtut: im Privaten. Möglich wird der Einbruch in die Intimsphäre Anderer wie ihre eigene Anonymität durch das Telefon. Studio Braun haben im Absurden perfektioniert, was eigentlich eine ganz kindliche Form des Klamauks ist: den Telefonstreich. Dass die drei Profis deshalb mit der etablierten Comedy-Szene nichts am Hut respektive am Eimer, der längst zu so etwas wie ihrem „Trademark“ geworden ist, haben, gereicht ihnen nur zu Ehre.
Vor gut einem Jahr überraschten The Telefon People mit einer CD, auf der sich das Adelsamt in Bamberg bei ausgesuchten Exponenten der verbliebenen Erbaristokratie meldete und die Aberkennung des Titels ankündigte („Jetzt heißt es hinten anstellen wie alle andern auch!“). Und mancher wird sich auch sicherlich noch „auf Rita besinnen“. Mit Gespräche II liegt nun ihr zweiter Streich vor, auf dem über Schmetterlingskonkons in Nappaschuhen verhandelt oder das Kochbuch Kochen im Unrechtsstaat – Die Geheimrezepte der Stasi an den Mann gebracht wird. Gespräche verheddern sich da in die Unbill des Alltags, wenn etwa ein Telefonsexgespräch durch Steuerfragen unterbrochen wird oder Sprachmüll aus Kontaktanzeigen über prollige Soziolekte stolpert, während andere Mitschnitte kunstvolle Grammatik- oder handfeste Verständnisprobleme schaffen. Kein Einfall ist für Studio Braun zu bizarr – auch wenn es der nur noch aus „gallertartiger Masse“ bestehende „Sitzhund“ moderner Gentechniker ist.
Eine Frage muss dennoch erlaubt sein: Wovor haben diese bril-lanten jungen Männer Angst? Warum entziehen sie sich immer wieder der Identifikation? Eine letzte Spur der taz verlief vor rund 14 Tagen im Sand. In der Zeit hatte der Hamburger Musiker Schorsch Kamerun bereits im Februar gemutmaßt, hinter Studio Braun verberge sich der ehemalige taz hamburg-Praktikant und heutige Erfolgs-Autor Benjamin von Stuttgart-Barre, Motor-Chef Tim Renner und der neue Spex-Besitzer Alex Lacher. Dieses Gerücht wird allerdings immer unwahrscheinlicher. Unter vorgehaltener Hand gestand der Goldene Zitronen-Sänger am Telefon, selbst die Gema-Honorare der beiden Studio Braun-Veröffentlichungen müssten stets in bar und von speziell ausgebildeten Bernhardinern an ständig wechselnden Orten in den Schweizer Alpen übergeben werden. Zwei Tage nach diesem Gespräch brach jedoch jeglicher Kontakt zu unserem Informanten ab. Seine Mobiltelefon-Chipkarte tauchte eine Woche später in einem auf amerikanische Touristen spezialisierten Elektrofachgeschäft in Bangkok wieder auf. Der Musiker selbst aber gilt seitdem als verschollen.
Tobias Nagl
Studio Braun, Gespräche II, BMG/Ariola
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