: Liebesaffäre mit der Welt
Um 1900 einer der bekanntesten Künstler in Paris und Berlin: Das Kupferstichkabinett erinnertmit einer Ausstellung an den schwedischen Kosmopoliten, Porträtisten und Aktmaler Anders Zorn
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Drei Präsidenten der USA, Eisenbahndirektoren, Mäzene und Minister gehörten zu seinen Auftraggebern. Anders Zorn, Maler aus Schweden, war um 1900 einer der bekanntesten Künstler in Paris, Chicago und Berlin. Befreundet mit Max Liebermann, stellte er in Berlin mit der Secession aus, deren programmatischer Naturalismus sich gegen akademische Salonmalerei wandte. Als schwedischer Kommissar der Weltausstellung reiste er 1893 das erste Mal nach Amerika; sechs weitere Besuche galten Porträtaufträgen.
Dort ist er noch heute in vielen privaten Sammlungen vertreten. In der Kunstgeschichte aber wurde er zur Randfigur, nach 1920 fast vergessen: Mit den Porträts der Prominenz seiner Zeit, die für dokumentarische Genauigkeit gelobt wurden, hatte er sich auf ein Feld begeben, das mit den beginnenden Massenmedien konkurrierte. Er agierte als Künstler kaum anders als ein der Aktualität verpflichteter Reporter. Von der Malerei aber wollte man in den 20er-Jahren den emotionalen Mehrwert, die ekstatische Übersteigerung oder symbolische Überhöhung. Nüchterne Handwerker wie Zorn, die nicht an idealen Menschenbildern bastelten, blieben auf der Strecke.
Mit fünfzehn Jahren kam er 1875 in Stockholm auf die Kunstakademie, mit zwanzig begannen seine Wanderjahre. In Spanien und Holland wählte er sich Rembrandt zum Vorbild, von dem er sich später eine eigene Sammlung anlegte. Seine erfolgreiche Zeit begann 1888 in Paris. Auch in seinen Radierungen, die das Kupferstichkabinett zusammen mit Grafiken seiner Zeitgenossen zeigt, erweist sich Zorn als zupackender Maler. Für den Mäzen und Kulturpolitiker Antonin Proust porträtierte er die Tänzerin Rosita Mauri: Keine Konturen umreißen die Figur, die allein aus Bündeln paralleler Striche gebildet wird. Wie Pfeile eilen die Linien auf ihr Lächeln zu. Etwas vom malerischen Gestus der Impressionisten, die jeden Pinselstrich als Entscheidung erkennen lassen, prägt Zorns Radierungen. In jedem Nadelstich flimmert Spannung auf. Selten sind seine Striche zerzaust und gelockt wie beim Porträt des lachenden Bildhauers Rodin, und nur für das Bildnis von Paul Verlaine, dem verarmten Dichter, fallen die Striche kreuz und quer übereinander her. Immer erreicht Zorn eine große Plastizität der Figuren. Ende des 19. Jahrhunderts gewann die Grafik einen neuen Stellenwert als eigenständige Kunstform in Europa.
Zorns Radierungen entsprechen den vom Medium verlangten Qualitäten, Situationen „schnell, leicht, ohne Vorbereitung, vertraut wie ein Gespräch“ (aus einem Handbuch von 1874) umzusetzen. Das zeigt sich nicht nur in der Initimität der Porträts, sondern auch in seinen Aktbildern. Als überzeugter Freiluftmaler spazierte in den schwedischen Sommern mit seinen Modellen zwischen Ufern und Felsen, in einer Verbindung von Freikörperkultur und ästhetischem Studium. Er nutzte die Fotografie als Skizzenbuch.
Tatsächlich scheinen seine bis zu den Knien im Wasser stehenden „drei Grazien“ in die Kamera zu lächeln. Er stilisierte die Frauen weder als elementare Naturwesen wie die Symbolisten, noch sah er, wie Lovis Corinth, gleich das Drama von Eros und Tod in jedem weiblichen Körper. Ein Motivkreis seiner Kunst fehlt in der Sammlung des Kupferstichkabinetts: sein Bekenntnis zu Schweden und zu seiner proletarischen Herkunft.
Ähnlich wie August Strindberg in der autobiografischen Erzählung „Sohn einer Dienstmagd“ outete sich Zorn als sozialer Aufsteiger. 1890 malte er die Arbeiterinnen einer Brauerei, die zwischen feuchten Dünsten Flaschenetiketten sortierten. So thematisierte er seine uneheliche Abstammung von einem Brauereimeister und feierte zugleich die Überwindung der sozialen Schranken. Modern war nicht sein Stil, sondern sein Handeln.
Nach seiner Rückkehr nach Schweden 1896 als wohlhabender Mann gründete er eine Volkshochschule, ein Freilichtmuseum und engagierte sich für die Volkskultur. Dort wurden er und seine Liebesaffäre mit der weiten Welt nicht vergessen.
Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz 4, Di–So. 10–18 Uhr, bis 12. Juni 2000
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