zoologie der sportlerarten: PROF. HOLGER HIRSCH-WURZ über den Basketballer
FLEISCH GEWORDENES FORT KNOX
Den homo dunkensteinensis, umgangssprachlich: Basketballer, erkennt man vorzugsweise an den geröteten Handflächen. Die bekommt er vom extensiven High-Five-Gebrauch; zu Deutsch: fortgeschrittene Abklatschwut. Basketball ist die abklatschigste Sportart überhaupt, weil der homo dunkensteinensis damit der Welt kundtut: Seht her, wir sind etwas Besonderes – locker solidarisch, cool und hip. Geklatscht wird vor dem Spiel, im Spiel, nach dem Spiel, vor der Auszeit, in der Auszeit, nach der Auszeit, vor dem Freiwurf, nach dem Freiwurf, während des Freiwurfs.
Dabei kennt der Basketballer mehr Formen des Abklatschens als der Eskimo Worte für Schnee. Es gibt das aufmunternde Klatschen, das jubilierende Klatschen, das triumphierende Klatschen, das verzweifelte Klatschen, das enttäuschte Klatschen, das höhnische Klatschen und das Nur-so-Klatschen. Ist der Abzuklatschende zu weit weg, zeigt der Basketballer mit dem Finger auf ihn, eine Art gebeamtes Klatschen. Ist er sehr gut gelaunt, klatscht er dem Delinquenten auch mal auf den Hintern, eine Variante, die als besonders neckisch und motivierend gilt.
Gern wird diese Variante auch beim Gegner angewandt, heißt dann aber: Na, du Flasche, wie hast du dich denn hierher verirrt? Völlig verpönt ist das Abklatschen im Gesicht, außer bei den Fußballern von Bayern München.
Wenn er vor lauter Abklatschen noch Zeit findet, spielt der Basketballer manchmal auch Basketball, eine Sportart, die Ende letzten Jahrhunderts in Amerika von gewieften Korbmachern erfunden wurde. Wer den Korb traf, musste zwei Stück kaufen, weshalb es bis heute zwei Punkte für jeden Treffer gibt.
Spielt der Basketballer in Amerika, darf er nur aufs Feld, wenn er über und über tätowiert ist. Ist er in Europa über und über tätowiert, darf er nicht aufs Feld oder fliegt ganz raus, was alles über den Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Basketball sagt. Ist der homo dunkensteinensis schwarz und stammt aus eher problematischen Stadtvierteln, schaut er im Privatleben aus wie ein Fleisch gewordenes Fort Knox. Sein größter Kummer ist, dass er all seine Ohrringe, Goldketten, Armreifen und sonstigen Schmuckstücke nicht mit aufs Spielfeld nehmen darf, aber selbst Allen Iverson sieht ein, dass er dann schwerer wäre als Hulk Hogan und sogar von Arvidas Sabonis ohne weiteres gestoppt werden könnte.
Amerikanische Basketballtrainer sind entweder gut drauf, hören Grateful Dead und sehen zunehmend aus wie der späte Jerry Garcia (Phil Jackson), oder sie kommen direkt von West Point, wissen dies aber geschickt durch das Tragen eleganter Maßanzüge zu kaschieren (Pat Riley).
In Europa ist der Basketball fest in der Hand jugoslawischer Trainer, die, abgesehen von den Maßanzügen, eher der Riley-Schule nahe stehen, dies aber niemals zugeben, weil sie erbitterte Feinde des amerikanischen „Zirkus-Basketballs“ sind. Fängt einer der Ihren mit Pässen hinter dem Rücken oder Alley-Hoops an, gibt es fünfzig Hiebe mit der Nilpferdpeitsche auf den Allerwertesten, was der Grund dafür ist, dass jugoslawische Coachs ihre Teams fast immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainieren und jugoslawische Basketballer so große Hosen tragen.
Der homo dunkensteinensis americanensis hat es besonders schwer, zum einen, weil er kein Marihuana mehr rauchen darf, zum anderen, weil er, sobald er den Ball einigermaßen geradeaus werfen kann, ständig gefragt wird, ob er der Nachfolger von Michael Jordan ist. Dann muss er sagen, dass er in Wahrheit Allen Iverson, Vince Carter, Grant Hill oder sonst wer ist und schämt sich, weil er ja zu gern der Nachfolger von Michael Jordan wäre.
Wenn der Basketballer so klein geraten ist, dass er kein Basketballer sein darf, wird er Filmregisseur, setzt sich im Madison Square Garden in die erste Reihe, tobt wie Rumpelstilzchen und klatscht so lange alles ab, was nicht niet- und nagelfest ist, bis ihn jemand fragt: „Hey, du hast so rote Handflächen, bist du Basketballer?“ Dann ist er glücklich und antwortet: „Nee, Spike Lee“, geht nach Hause und dreht einen neuen Film.
(Wissenschaftliche Mitarbeit: Matti Lieske)
Fotohinweis:
Hirsch-Wurz, 83, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen
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