mit atomskandalen auf du und du: Atommüll wird in Uralt-Wagons transportiert
MUSEUMSREIFE TECHNIK
Die Züge, mit denen der Atommüll durch die Lande rollt, sind völlig veraltet und unsicher. Diese hochriskante Schlamperei wurde jetzt fast zeitgleich vom ZDF-Magazin „Kennzeichen D“ und dem Schweizer Fernsehen aufgedeckt.
Der kritische Punkt sind die Drehgestelle der Züge. Diese wurden Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt. Sie sind nur für niedrige Geschwindigkeiten tauglich – an ein Tempo jenseits von 80 Kilometern pro Stunde dachte damals niemand. Im regulären Güterverkehr ist das bekannt, und kein Unternehmer würde auch nur einen Container voller Gummibärchen damit durch die Republik fahren lassen. Und dennoch nutzt die Atomwirtschaft sie ausgerechnet für die Beförderung ihres strahlenden Mülls. „Museumsreif“ seien die Fahrwerke vom Typ „Diamond“, hatte am Dienstag das Schweizer Fernsehen DRS gemeldet. Und gestern Abend legte das ZDF nach und zitierte den Leiter des Fachbereichs Schienenfahrzeuge der Technischen Universität Berlin, Professor Markus Hecht. Die Wagen hätten „nur das halbe Bremsvermögen von modernen Güterwagen und nur ein Viertel des Bremsvermögens eines normalen Reisezugwagens“.
Schon in den ZwanzigerJahren hatte die Deutsche Reichsbahn begonnen, diese Bauart auszumustern, hieß es weiter. Formal ist der Einsatz der Drehgestelle in Deutschland und in den Nachbarländern jedoch noch erlaubt. Nach Auskunft des Eisenbahnbundesamtes sind sie für Geschwindigkeiten bis zu 100 Kilometer pro Stunde zugelassen. Doch niemand hat sich in letzter Zeit die Mühe gemacht zu prüfen, ob sie für hochgefährliche Fracht noch verantwortbar sind. Ein Mitarbeiter des Forschungs- und Technologiezentrums der Deutschen Bahn in Minden nennt das Phänomen schlicht „Bestandschutz für Uralt-Konstruktionen“.
Dennoch ist auch die Bahn aufgeschreckt. Noch ehe die ZDF-Recherchen gestern abend über den Sender gingen, hatte das Forschungs- und Technologiezentrum der Bahn bereits einen Inspekteur nach Frankreich geschickt, um dort die Fahrwerke zu prüfen. Bekanntlich sind die Castor-Transporte in Deutschland aufgrund von Problemen mit radioaktiver Kontamination derzeit ausgesetzt. Bleibt abschließend die Frage, warum gerade für die gefährlichsten aller Frachten die ältesten Drehgestelle genutzt werden. Bei der französischen Transportgesellschaft Transnucléaire, wo man das Risiko der Atomtransporte noch nie wahrhaben wollte, heißt es: Die Drehgestelle halten Jahrzehnte. Atommüllzüge bringen es nur auf 15.000 Kilometer im Jahr. So bleibt die Museumstechnik lange erhalten. BERNWARD JANZING
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