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das paradies ist keine evangelische autobahnkirche von WIGLAF DROSTE

Der Berliner Winterhimmel sieht aus, als hätte es bei Gotts Graupensuppe gegeben, und als hätte Gott den schlierigen Eintopf nicht bei sich behalten wollen. Die Lunge eines Kettenrauchers könnte kaum hübscher sein. Der Sehhilfenträger Wim Wenders aber schwärmt vom Himmel über Berlin – von dem er als Bono-Fan ebenso viel versteht wie von Musik.

Das Zeug über Berlin ist kein Himmel, sondern ein Deckel, der die Stadt verschließt, damit dort niemand auf Ideen kommt und alle immer so weitermachen. Wie Wim zum Beispiel. Wim dreht einen Film über den kölschen Dauerlautsprecher Wolfgang Niedecken, der als singender Kriegsdienstverweigerer begann und mittlerweile tönt wie Rudolf Scharpings Pressesprecher mit Gitarrenbegleitung. Wie soll man den Kriegspropagandisten Niedecken nennen? Heuchelmörder?

Es ist immer gut, dem angeblichen Himmel den Hintern zu zeigen und Licht aufzusuchen, das den Namen verdient. In Ligurien gibt es dieses Licht. Kobaltblau schimmert die See und leuchtet der Himmel. Man hockt sich hin, im Kreuz die Seealpen, und die Sonne bäckt alles durch, Körperseelegeist, das ganze Programm. Humm humm humm. Beinahe könnte man glauben, dem Gemurkse entronnen zu sein, aber das ist natürlich Quatsch. „I’ll never get out of this world alive“, singt Hank Williams.

Wie recht er hat, zeigt ein Pärchen, das die Szene betritt. Der Mann ist vom weltweit operierenden Stamm der Vokuhila-Oliba, den es trotz der vielen Witze über ihn immer noch hartnäckig gibt, und sie passt gut zu ihm. Die beiden kommen, das erfährt man irgendwann, „aus Düsburch“. Anfangs sind sie auf eine brütende Art leise. Sie sind nicht miteinander still, sie schweigen sich an. Wenn man hinhört, ist es brüllend laut – so laut, wie es wird, als ein weiteres Pärchen aufkreuzt. Endlich können die zwei den Knebel ihrer Ehe abnehmen und loslegen: kalfater, kladoinker, rabimmel, rabamm.

Alles Unglück auf der Welt rührt daher, dass die Menschen nicht Ruhe geben können. Sie können nicht still sein. Ständig müssen sie zeigen, dass sie leben. Dass sie da sind. Dass es sie gibt. Als wäre das etwas Wissenswertes. Und als wären Lärm und Gemache ihr einziger Daseinszweck. Genau so ist es auch. „Ich denke mal“, sagt der Mann. Wie viele Lügen enthalten diese drei Wörter? „Ich“ ist gelogen, „denke“ ist der blanke Hohn, und „mal“ ist mal. Dann sagt er noch den Lieblingssatz aller Ausgehöhlten: „Ich hab alles im Griff.“ Später steigen sie in ihr Auto. Es ist ein Geländewagen. Ein Jeep. Den braucht man in Düsburch. Düsburch ist wie eine evangelische Autobahnkirche. Man weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber eins weiß man ganz sicher: Wenn es ihn gibt, dann wohnt er nicht hier.

Familie Düsburch ist weg. Es ist still. Nur ein Angler stellt sich ins Idyll. Der Angler als solcher wird oft als ruhiger Vertreter gelobt. Er brüllt nicht und lässt auch nicht Musik wummern. Doch oft ist stilles Wasser einfach nur flach. Der Angler bevorzugt die Stille nicht aus Neigung und Liebe, sondern aus praktischen Erwägungen. Weil er an den Fisch will. Beziehungsweise dem Fisch ans Leben. Mit dem Haken ins Maul. Angeln ist Piercing für Fische.

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