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Zeitungsabos in Strapsen

Eine kurze, schnelle Geschichte über das Töten und die neue deutsche Grausamkeit in Form von Hetzjagden auf Punks, Ausländer und Linke: Martin Baucks Stationendrama „Hasenfratz“ an den Kammerspielen des Deutschen Theater

Einsamkeit ist eine existenzielle und nicht minder grausame Erfahrung. Die meisten Menschen versuchen, sie mit Gesellschaft oder Produktivität zu knebeln. Rainer, Katharina und ihr Mann Otto haben sich absolut nichts zu sagen, doch diese unbenannte Angst vor dem eigenen Leben als schwarzem Loch hält sie zusammen.

Auf der rechtwinkligen, von Gralf-Edzard Habben eingerichteten Bühne inmitten des Werkraums liegt ein verendetes Reh. An ihrem oberen Ende steht ein Guckkasten, der mit drei Stühlen, zwei Glatzen, einer Dauerwelle und ausreichend Alkohol ein überzeugendes Bild prolliger Familientumbheit rahmt. Still ist es, eigentlich angenehm still. Plötzlich platzt Max in den Raum, panisch. Draußen haben sie seinen Bruder zu Tode gehetzt, und Max weiß, dass ihn das Bündel rotgefärbter Haare auf seinem Kopf zur nächsten Zielscheibe macht. Im Glatzenuniversum sind Punks Zecken, die man ausmerzt. Es sei denn, sie sind schneller. Max erschießt Otto, dann ersticht er Rainer. Woraufhin Edda, die Tochter Ottos und Verlobte Rainers, Max Hasenfratz, den sie in Wahrheit liebt, mit ausgestrecktem Arm abknallt. Da ist es 20.22 Uhr. In weniger als einer halben Stunde Spielzeit wurden drei von fünf Figuren eliminiert. „Wie lange geht das Stück denn?“, fragt mich meine Nachbarin irritiert.

Martin Baucks hat das knapp 90-minütige Drama „Hasenfratz“ geschrieben und auch die Uraufführung am Samstag in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszeniert. Inspiriert von neuer deutscher Grausamkeit im Allgemeinen und der Hetzjagd auf den Linken Gordon Gafert in Magdeburg sowie einer perfiden Folteraktion bei Koblenz im Speziellen, bringt er eine kurze Geschichte des Tötens auf die Bühne. „Hasenfratz“ ist ein Stationendrama, das in kurzen Szenen Licht auf Biographien wirft, denen Grausamkeit zum ersten Mal eine Perspektive verheißt. Selbstredend kurzfristig, auch wenn Rainer und Max, wie sich bald herausstellt, die Angriffe überlebt haben.

Mutter Katharina (überzeugend ordinäre Schnalle: Katrin Klein) blüht auf nach Vater Ottos Tod (gespielt von Udo Kroschwald, der das sehr aufgeregte Spiel angenehm erdet). Nach Jahren des Geschlagen- und ungefragt Gepimpertwerdens hausiert sie nun in Strapsen mit Zeitungsabos. Rainer (Robert Gallinowski) schließt sich dem Geschäft an, und gemeinsam richten sie den zum Idioten geschossenen Max ab, der über die Mitleidsschiene Kohle machen soll.

Edda geht auf den Strich und liebt ihn weiter. Ihre Figur, die im Zentrum steht, ist leider die schwächste: In alles verwickelt und ständig getrieben, eifert sie ein wenig Woyzeck nach, der gehetzten und benutzten Kreatur par excellence. Karen Stefanie Heise spielt sie mit großem Einsatz, der bald zu groß wirkt, wenn sie stets rennt und fuchelt und schmerzhaft fassungslos blickt. Baucks hat ihr und Max Monologe geschrieben, die die Ereigniskonstellation unnötig simplifizieren: Das Mädchen wollte stets nur Liebe, hatte aber eine fiese Kindheit, und der Junge, dessen Idiotie Roman S. Pauls bravourös darstellt, will bis heute nur einen, der mit ihm spricht.

Der andauernde Terror auf der Bühne wirkt ermüdend, doch die rasche Szenenfolge mit kurzen Irritationen verhindert glücklicherweise ein reines Psychodrama. Die Liebe ist das große Thema der neuen Kammerspiele. Dass „Hasenfratz“ die adäquateste Weise ist, mit sich zu etablieren scheinender Perversität umzugehen, kann man bezweifeln – aber einer, das sagt auch Katharina, „einer muss ja fühlen.“

CHRISTIANE KÜHL

Nächste Vorstellungen: 20., 30. 3., 20 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstr. 13

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