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Piercing als Bildungsprogramm

Auf der Suche nach urbanen Stämmen: Die Ausstellung „Body Art“ in Sydney zeigt, wie sehr moderne Körperritualemit kultischen Techniken zusammenhängen, und wird dafür von der katholischen Kirche Australiens angefeindet

Mit dem Zugangsverbot für Jugendliche unter 15 Jahren für die umstrittene Ausstellung „Body Art“ hat das Australia Museum in Sydney einen Präzedenzfall geschaffen. Unter sanftem Druck der Regierung von New South Wales (NSW) reagierte die Museumsleitung damit auf die heftige Kritik kirchlicher Stellen an der Ausstellung: Warnhinweise und Wächter an den Eingängen sollen Familien mit Kindern, die 60 Prozent des Museumspublikums ausmachen, davor schützen, ungewollt mit Piercings und Tattoos in Berührung zu kommen. Reverend Fred Nile, selbst ernannte „Moral Majority“ Sydneys, geißelte „Body Art“ als „schmierig und pervers“. Der Präsident des Kirchenrates von NSW, Ray Hoekzema, hatte zum „Boykott“ der Ausstellung „sexueller Abartigkeiten“ aufgerufen. Beide hätten die Ausstellung nie gesehen, wundert sich Trish McDonald, Leiterin der „anthropologischen“ Ausstellung.

Menschen mit Piercings oder Tätowierungen sind auch im Straßenbild von Sydney längst Normalfall. Insofern stellt die Ausstellung „Body Art“ lediglich die zeitgenössischen Erscheinungsformen der Körperkunst in einen kulturgeschichtlichen und anthropologischen Zusammenhang. Dabei soll deutlich werden, dass Piercings, Tätowierungen, Bemalungen oder Make-up nicht das dekadente Verhalten überdrehter, hedonistischer und Partydrogen konsumierender Großstädter sind, sondern „zu jeder Zeit Bestandteil aller menschlichen Kulturen war und viele verschiedene Formen haben kann“, so Trish McDonald.

Präsentiert werden traditionelle Tätowierriten von eingeborenen Völkern Afrikas oder des Pazifik ebenso wie Korsagen europäischer Damen aus dem 19. Jahrhundert, die „Kriegsbemalung“ von Fußballfans oder Genitalpiercings aus dem 20. Jahrhundert. Die Ausstellung zeigt, wie die Menschen sich alte Traditionen aneignen und in den Kontext ihres Alltags einfügen.

Dazu gehören Porträts von Graeme Kent, dessen Tätowierung auf dem rechten Oberarm ein überliefertes Maori-Muster mit einem modernen Design kombiniert. Überhaupt dokumentiert „Body Art“ in Wort und Bild, warum sich Menschen aus allen Lebensbereichen welche Körperstellen verzieren und welche Form sie für ihren persönlichen Körperkult ausgewählt haben. Umgekehrt arbeiten Jugendliche in der Ausstellung als Führerinnen und Aufpasserinnen, die mit Piercings, gefärbten Haaren und roten Kontaktlinsen zu lebenden Exponaten werden.

„Body Art“ ist Teil des Konzepts, mit dem das Australia Museum für neue Zielgruppen attraktiv werden soll. Marktuntersuchungen haben gezeigt, dass sich mit genau dieser Art von Themen junge Menschen museal ansprechen lassen. Die Zielgruppe der 16- bis 35-Jährigen hat bisher einen großen Bogen um die Bumerangs und Saurierskelette des Museums gegenüber dem Sydney Hyde Park gemacht. „Doch schon die Ausstellung über Punks vor zwei Jahren, mit der wir uns erstmalig mit dem Lebensgefühl ‚urbaner Stämme‘ befasst haben, ist ein großer Erfolg genau in der bisher vernachlässigten Zielgruppe gewesen“, erinnert sich Trish McDonald. Es ist auch kein Zufall, dass die Eröffnung von „Body Art“ mit dem Startschuss zum lesbisch-schwulen Mardi-Gras-Festival zusammenfiel, für das einige zehntausend Touristen aus aller Welt erwartet werden. MICHAEL LENZ

Body Art, bis 18.6., Australia Museum, Sydney; www.austmus.gov.au

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