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Goldenes Zeitalter, das gestern noch im Kino blühte

■ Zum Purim-Fest zeigt die jüdische Gemeinde heute Joseph Greens jiddisches Musical „Der Purimspiler“

Als sich Isaak Bashevis Singer und Menachem Begin in den 70er Jahren trafen, soll Singer gesagt haben, er könne es der israelischen Regierung nicht verzeihen, dass sie Jiddisch nicht als offizielle Sprache eingeführt hatte. Worauf Begin erwidert haben soll: „Wie, bitte sehr, soll man denn auf Jiddisch eine Armee befehligen?“. Und Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, hatte sich bereits lange vorher gewünscht, dass sich die Menschen im zukünftigen Judenstaat dieser „verdrückten Ghetto-Sprachen“ entledigen sollten.

Ein Staat war also mit Jiddisch nicht zu machen. Aber Zeitungen, Romane, Lieder, Musicals – und Filme. Kurz vor der Vernichtung der primären Quellen jiddischsprachiger Kultur durch die Deutschen brach Mitte der 30er Jahre das „Golden Age of Yiddish Cinema“ an. Der Film, der sich bis dahin hauptsächlich damit begnügt hatte, bekannte Theaterstücke von Dramatikern wie Peretz Hirschbein oder Jacob Gordin abzulichten, begann, eine eigene Formsprache zu entwickeln. Zwischen Warschau und New Jersey produzierten amerikanische Firmen und Regisseure etwa 50 Spielfilme unter äußerst widrigen Bedingungen. An einem Minoritätenkino, dessen Akteure und Publikum auf zwei Kontinente verteilt waren, hatten die bedeutenden Produktionsfirmen kein Inte-resse. Dennoch fand das Kino in der Mameloschen (Muttersprache) seinen Platz, vor allem bei den Emigranten an der New Yorker Lower East Side.

Anlässlich des Purim-Festes zeigt die jüdische Gemeinde heute Abend Joseph Greens Der Purimschpiler von 1937, der als folkloris-tisches Musical daherkommt. Die Geschichte des umherziehenden Gelegenheitsarbeiters und Purimspielers Getsel enthält alle wichtigen Elemente dieses nachträglich vergoldeten Teils der Filmgeschichte: die Romantisierung des harten Lebens im schtetl, die dem ebenfalls stets präsenten Gefühl der Heimatlosigkeit entgegenstand, das Problem des Familienzusammenhalts und die formale Dynamik zwischen tradierter jiddischer und moderner amerikanischer Unterhaltungskultur.

Schon der Anfangstitel platziert, gemeinsam mit der damals am Stadtrand von Warschau errichteten schtetl-Kulisse, die Handlung „in einem kleinen galizischen Dorf, in der romantischen Zeit, die ges-tern noch blühte“. Hierhin kommt Getsel, von Zygmunt Turkow als melancholisch-chaplineske Tramp-Figur verkörpert, auf der Suche nach Arbeit. Nach vielen Rückschlägen bleibt er schließlich beim Schuster, da er sich in dessen Tochter verliebt hat. Für Esther, die ihrerseits den smarten Zirkusakteur Dick liebt, bleibt Getsel aber nur der beste Freund. Als bei einer Purim-Feier Vorbereitungen für eine Zwangshochzeit Esthers mit dem verblödeten Yossel getroffen werden, sorgt Getsels Purim-Spiel für einen Eklat, beide müssen vor Es-thers Vater fliehen. Durch die Fluchthilfe führt er unwillentlich die Wiedervereinigung von Esther und Dick herbei. Am Ende versöhnt sich zwar die Familie, aber der Purimspieler muss alleine weiterziehen.

Dieser rührselige Plot wird vor allem durch die fast existentialistische Figur des Getsel gerettet, die dem ganzen Film einen Unterton der Vergeblichkeit verleiht. Die Musical-Nummern brechen zwar meist recht unvermittelt über die Handlung herein, faszinieren aber gerade in ihrer gezielten Naivität. Und schließlich sind es die lebendigen Straßenszenen, die nur eine sehr brüchige Romantisierung des schtetl-Lebens zulassen, und die recht spritzigen jiddischen Dialoge, die der Lyriker Itzik Manger für den Film verfasste, die den Purimschpiler historisch und linguistisch interessant machen, während sie ihn über diese Bedeutungen hi-nausheben. Hier liegen jüdische Themen und Figuren, auf die sich amerikanische Filme nach der Schoah immer wieder bezogen haben; Anatevka, Yentl und Der Großstadtneurotiker haben im jiddischen Kino des „goldenen Zeitalters“ einen Ausgangspunkt.

Georg Felix Harsch

heute, 19.30 Uhr, Gemeindesaal der jüdischen Gemeinde, Hohe Weide 27

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