: Unten mit Beck
Ein bisschen Novocain für die Seele und ganz viel Rock für den Körper: Die Eels amüsierten sich in der Passionskirche über ihren Weltschmerz und zeigten eine schöne Freakshow
von DANIEL BOESE
Die Eels sind immer noch so schöne Freaks, wie ihr erstes Album „Beautiful Freak“ 1996 verkündete: Fünf Musiker stehen auf der Bühne der Passionskirche und demonstrieren schon mal optisch ihre Individualität, während sie „Novocaine For The Soul“ spielen. Der Drummer trägt einen dicken, weißen Cowboyhut, die Geigerin steht im schwarzen Kostüm da, und der Posaunist steckt im Nikolauskostüm. Das Lied handelt vom Gefühl, unverstandener Einzelgänger zu sein. Davon, dass das Leben hart ist und man ein bisschen Novocain braucht, um überleben zu können.
Diesen Weltschmerztext hätte man fast nicht erkannt, ohne Gesang und nur mit Geige und Bläsern: Es ist der bisher größte Hit der Eels. So setzen die Freaks mit dem Lied ganz unauffällig den Vibe für den Abend.
Dann tritt endlich E auf die Bühne, der Mastermind der Eels, der eigentlich Marc Oliver Everett heißt. Mit Baseballkappe, Jeansjacke, Brille und Bart sieht er aus wie ein Studienabbrecher und Comicverkäufer aus den Siebzigern. E setzt sich ans Klavier am Bühnenrand und spielt „Grace Kelly Blues“ den Opener der neuen CD: Der kleine Trauermarsch am Anfang ist nur noch superkurz, man hat ihn kaum bemerkt, dann geht es auch schon weiter: „You know, I’ll be okay.“
Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn „Daisies of the Galaxy“ nicht unüberhörbar als das Album vermarktet würde, mit dem E den Selbstmord seiner Schwester und die Krebserkrankung seiner Mutter verarbeitet hat. Obwohl es über die Passionskirche als Veranstaltungsort noch einige Referenzen mehr zu Tod und persönlicher Trauer gäbe, lassen die Eels das bleiben. Sie kümmern sich lieber darum, eine ordentliche Freakshow zu bieten.
Dazu gehört auch ein bisschen Rock wie in „Mr E’s Beautyful Blues“. E singt „You’re goddamn right, it’s a beautyful day!“. Das kommt gut, auch wenn er sich hinterher bei Jesus für seine Schimpfwörter entschuldigt – die ganz normale Portion amerikanische Doppelzüngigkeit. Bei dem klaviergetragenen „It’s A Motherfucker“ wird mit viel Understatement Innerlichkeit kultiviert: Alle spielen zusammen, obwohl jeder in seiner Ecke steht, in seinem Herzen wühlt und verlassen aussieht. Sich einerseits über die Welt auskotzen und dann doch wieder über sich selbst amüsieren: in dieser Mischung liegt der Charme der Lieder, die Marc Everett schreibt und singt. Die Eels sind dafür die ideale Band, dieses Mal ergänzt durch den John-Mellencamp-Zögling und 4-AD-Dream-Popstar Lisa Germano an der Geige
Wenn Lisa Germano sich allerdings zum Geigen hinkniet, der Saxophonist die Querflöte auspackt und das Nikolauskostüm gar nicht mehr zu übersehen ist, wird die Performance doch leicht kitschig. Zu viele überunverstandene Musikerseelen drehen sich umeinander, und E klingt plötzlich nicht mehr wie Beck, was auf dem Album an vielen guten Stellen der Fall ist, sondern nach Sting. Die Stilsicherheit verschwindet, und es drängt sich irgendwie der Eindruck auf, es hier mit einem Jugendgottesdienst zu tun zu haben.
Aber das „Eels Orchestra 2000“ kriegt sich wieder ein: Sie spielen „Novocaine For The Soul“ noch mal ordentlich bombastisch, performen „Hospital Foods“ mit E an den Bongos schön düster und geben „I Can’t Help (Falling In Love With You)“ von Elvis als Zugabe. Gefallen hat das nicht nur dem Publikum, das mit Fußgetrampel der Band noch einen zweiten Zugabenset abringt, sondern auch den Musikern: Die Kirche leert sich, die Roadies diskutieren schon, wer die PA abräumt und wer die Backlineverstärker schleppt, da kommen E und die anderen noch mal zurück, stellen sich ins helle Licht und spielen noch ein Lied.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen