: Pralinen, Lettern und Rost
Im Kunsthaus treffen die Häppchen von David Neat auf die Brocken des 1999 verstorbenen Hamburger Bildhauers Horst Hellinger ■ Von Hajo Schiff
Sehr geschmackvoll scheint das Kunsthaus zu einer besseren Confiserie geworden: In großzügiger Präsentation werden rings an den Wänden Pralinen angeboten, und zentral auf einem Sockel thront eine Espressotasse. Was da so gut zusammenpasst, hat eigentlich gar nichts miteinander zu tun: Die Kunstpralinen des Engländers David Neat treffen auf die letzte Arbeit des im März 1999 verstorbenen Hamburger Künstlers Horst Hellinger.
Die Tasse scheint von dem Künstler, den der Tod schon im 53. Lebensjahr ereilte, nicht mehr ausgetrunken, denn in ihr blieb ein Rest Kaffee. Doch was wie eingetrocknet aussieht, ist aus Bronze: Der Metallguß in die gern genutzte Tasse war des Künstlers letzte Hinterlassenschaft. Auch den übrigen künstlerischen Nachlass verwaltet Christoph Grau mit seiner Agentur für zeitgenössische Kunst, die jetzige Retrospektive im großen Raum des Kunsthauses hat er im Wesentlichen daraus zusammengestellt.
Horst Hellinger ist zumindest durch seine immer umstrittene, am Spadenteich beim St.-Georgs-Kirchplatz platzierte Außenskulptur aus rostigen Eisenplatten von einer Schiffsabwrackwerft in Hamburg bekannt. Auch wirkte er in dem von ihm mitgegründeten Hamburger Künstlerhaus Weidenallee direkt und indirekt als Mentor sowie als Professor in Hannover. Nun kann im Zusammenhang seiner verschiedenen Arbeiten ein Bildhauer neu entdeckt werden, der sich intensiv auf die traditionellen Materialien Stein und Ton, Eisen und Bronze einlässt. Aber Horst Hellinger ist auch ein Künstler, der im modernen Kunstbegriff den Arbeitsprozess offenlegt und seine Werke stets ins Konzeptionelle bricht.
Am auffälligsten sind sicherlich die großen Bronzebuchstaben. Überlebensgroße Buchstaben möchte man sagen, wobei sich sprachlich bereits die ganz außerordentliche Körperlichkeit einschleicht, die den fast nur noch elektronisch vorkommenden Lettern sonst längst entschwunden ist. Hier aber sind sie meterhoch, in der alten Steinmetzschrift „Kapitalis“ ausgeführt und auf einer Seite auf Hochglanz poliert, auf der anderen dagegen bizarr ausgreifend hinterfangen von allen Spuren und Kanälen des Gussprozesses. Analyse und Neuinterpretation auch bei der „Hl. Theresa“: Berninis visionär erotisierte Nonne reduziert Hellinger zu einem genauso gut als Klangobjekt denkbaren Bündel von Reißblechen, die den barock-ekstatischen Faltenwurf des Gewandes in Einzelteilen nachbilden.
Der Künstler arbeitete gerne in der freien Landschaft, sammelte Relikte und sicherte Spuren der Zeit. Sichern war dabei oft ganz wörtlich gemeint: Mit eigens gefertigten großen Eisennägeln durchbohrte und befestigte er Findlinge nach deren langer Irrfahrt am jetzt erreichten Ort auf Dauer. Doch den eigenen Reisen baute er nur unzureichendes Gerät: Ein Schiff, zusammengeschweißt aus dickem Werfteisen, wird zu einem seltsam groben Modell, dem das Sinken sicher ist. Sein Name lautet jedoch: „MS-Hoffnung“.
Jeder Künstler hofft, dass von seinem Werk mehr bleibt als nur ein vager Geschmack. Aber das Publikum hat oft kaum mehr als bloß Hunger nach häppchenhaftem Kunstgenuss. Und solchen „Faim de Siècle“ ironisiert wortspielerisch am Ende des Jahrhunderts der nach zehn Jahren Aufenthalt in Hamburg jetzt nach London zurückkehrende David Neat mit seinen Pralinen im Foyer. Auch Hellinger hat er in die Galerie seiner 59 Künstler aufgenommen, denen er je eine Hundertschaft seiner kunstvollen Kleinplastiken gewidmet hat. Und so wird Kunst von Picasso bis Ian Hamilton Finlay eine zu-ckersüße Geschmacksfrage, dazu noch in appetitlichen Häppchen nach eigener Wahl für Zuhause mitnehmbar. Ist es nicht das, was sich der schnelle Kunstkonsument immer gewünscht hat?
Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 24. April. Katalog Horst Hellinger mit Texten von Horst Bredekamp, Bazon Brock, Helmut Heißenbüttel und Marianne Schuller, 40 Mark (ab 28. März erhältlich)
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