: Große Verwirrung erwünscht
■ In der Galerie Beim Steinernen Kreuz werden die verwirrenden abstrakten Bilder des Ex-Bremers Otto Völker ausgestellt
Selbst mit dem letzten Pinselstrich hört die Kunst nicht auf. Das musste erst kürzlich wieder Brigitte Seinsoth erfahren. Die Bremer Galeristin stellt zur Zeit die Arbeiten des Münchner Malers Otto Völker aus. Nach dem Auspacken der Werke begann sie damit, die Bilder dergestalt aufzuhängen, dass sie farblich möglichst gut zusammenpassen. Die dunklen Bilder an die eine Wand, die hellen an die andere. Alle Bilder auf eine gleiche, dem Blickwinkel angepasste Höhe. Und den Übergang vom leuchtend roten zum grasgrünen Bild gestaltete sie durch ein, zwei Bilder, die durch ihre neutralen Farben den Kontrast nahmen. Nichts da, völlig falsch: Leuchtend-Rot gehört neben Grasgrün, und die Höhe muss bei jedem Bild verschieden sein, wurde sie von Otto Völker belehrt.
Die Täuschung des herkömmlichen ästhetischen Empfindens ist bei dem ehemaligen Studenten der Bremer Hochschule Programm. Weder die Farbgebung noch die Linien, Flächen und Figuren sind eindeutig. Das fängt schon damit an, dass die Linie aufhört: Der orangefarbene, senkrechte Pinselstrich mitten im rotflächigen Bild scheint auf den ersten Blick die Funktion zu erfüllen, mit der waagerechten Linie ein Kreuz zu bilden. Doch kurz vor Erreichen dieser Kreuzung geht ihm offenbar der Saft aus: Aus dem kräftigen Pinselstrich ist ein verlaufender Farbtropfen geworden, der noch vor der möglichen Berührung versiegt. Und die Farbe dieser Linie ist bei näherem Hinsehen eine andere, als es noch von Weitem den Anschein hatte. Erst jetzt erkennt man, dass es eigentlich ein Ockerton ist, der sich allein vor dem roten Hintergrund zu einem Orange zu wandeln scheint.
Dem Betrachter werden auf Völkers Farbflächen immer wieder konkrete Formen, wie Dreiecke, Rechtecke und Linien angeboten, die ihm zunächst klar erscheinen, dann aber doch irgendwie befremdlich wirken. So scheinen die beiden Dreiecke am oberen Rand des einen Bildes gemeinsam ein Dach zu bilden ihre verschiedenartige Größe jedoch lassen eine solche Assoziation dann doch nicht zu. Auch die Farbgebung der Fläche eines anderen Bildes scheint von weitem klar: Sie ist braun. Von nahem sieht man dann die feinen Schattierungen: Die darunter liegende hellblaue Schicht kommt mal mehr, mal weniger zum Vorschein.
Das Motiv für derartige Farbspielereien und optische Irreführungen liegt auf der Hand: Da will jemand die Wirkungskraft von Farben und Formen ausprobieren. Und in der Tat gelingt es Völker mit diesen halb abstrakten, halb konkreten Experimenten durchaus zu überraschen. Mit scheinbar einfachen Ideen erreicht er ganz neue Farbwirkungen und ein interessantes Zusammen- und Gegeneinanderspielen von Farben, Flächen, Linien und Formen.
Tiefgreifendere Gedanken allerdings kommen bei Völkers Werken nicht zum Ausdruck. Wie wirkt diese Farbe, wenn jene daruntergelegt wird, verblasst die eine Linie, wenn ich der anderen eine bestimmte Farbe verleihe? Der Besucher bleibt bei solch technischen Fragestellungen hängen. Eigentlich schade. Johannes Bruggaier
Die Ausstellung in der Galerie „Beim Steinernen Kreuz“ ist noch bis zum 15. April zu sehen, Di bis Fr von 10 bis 13 und 15 bis 18.30 Uhr, sowie Sa von 10 bis 14 Uhr. Infos unter 70 15 15
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen