Malevich Country

Auf der Ebene der Zeichen kommen Kommunismus und Kapitalismus gut miteinander aus: Die Ausstellung „Die Verwandlung des Roten Sterns“ zeigt das russische Exportgut Soz-Art

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Kaviardosen, die Alexander Kosolapow wie einst Andy Warhol Campbells Suppendosen in Serien nebeneinander druckt, tragen die Aufschrift „produced and packed in the USSR for export“. Kyrillische Schrift zu lesen und die russische Sprache zu beherrschen, verlangen weder die Ware noch die Kunst von ihren Konsumenten. Und noch etwas verbindet sie: Die Herkunft aus Russland ist ihr Kapital am westlichen Markt.

Auf der Ebene der Zeichen kommen Kommunismus und Kapitalismus prima miteinander aus, zumindest in den Grafiken von Alexander Kosolapow. Seit 1975 lebt er in New York und verschwistert die Codes der politischen Propaganda mit den visuellen Kürzeln der Werbung. „Malevich“ ersetzt den Marlboro-Schriftzug unter dem roten Winkel, und Coca-Cola-Flaschen dienen als Molotow-Cocktail. Ost und West schrumpfen auf wenige Begriffe und Logos zusammen, die auf ihre Vermählung geradezu zu warten scheinen. Warum die Soz-Art trotzdem nicht mit der Pop-Art in einen Topf geworfen werden darf, zeigt die Ausstellung „Die Verwandlung des Roten Sterns“ im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur.

„Pop-Art ist ein Kind der Überproduktion von Waren und Reklame“, erklären Komar & Melamid, „Soz-Art ist eine Geburt der Überproduktion von Ideologie.“ Das findet auch Leonid Sokow, der ebenfalls vor 20 Jahren nach New York emigrierte. In den Skulpturen seiner „Defizit“-Serie hatte er große Pralinen, Eiswaffeln und Äpfel aus Holz geschnitzt: All das war Mangelware der Breschnew-Ära. Zudem griff er den Stil der Volkskunst auf, die eingespannt war ins Programm der nationalen Identitätsbildung. Der satirische Bezug zur Realität ergab sich da fast von selbst; politische und soziale Probleme schnurrten zur Anekdote zusammen. Von der Historikerin Marina Sandmann, die seit über zehn Jahren die Szene der nonkonformistischen Künstler Russlands ausleuchtet, zur Entstehung von Soz-Art befragt, erzählt Sokow: „Die Künstler haben jeder für sich einen unterirdischen Gang gegraben, ohne zu ahnen, dass jemand anderer auch in die selbe Richtung gräbt.“

Sandmann kehrte mit ihren Recherchen bis zu legendären Wohnungsausstellungen der Sechzigerjahre in Moskau zurück. Sie zeigt die Karikaturen von Wjatscheslaw Sisojew, der einmal der „Pornografie“ angeklagt zwei Jahre in ein Lager musste. Eine Bäuerin erntet mit der Sichel nur Hämmer von ihrem Feld, und Stalin spielt Kasperletheater mit Generälen. Die Brisanz der Zeichnungen ist ohne den Kontext des Verbotes kaum mehr nachzuvollziehen. Auch die Spiele, die Anatoli Brusilowski mit der Stalin-Figur trieb, galten in den Sechzigerjahren als gefährlich: Er setzt ihn in seinen Collagen zwischen Zirkusreiter, Raubtiere und zweideutige Damen. Dieses Verwirrspiel nahm den Personenkult nicht ernst und behandelte ihn wie ein Märchen.

Mitte der Achtzigerjahre begann die visuelle Demontage der staatstragenden Symbole zu boomen. Eduard Gorochowski, den die Tretjakow-Galerie Moskau gerade mit einer großen Ausstellung zu seinem siebzigsten Geburtstag ehrte, setzte 1988 Breschnews Porträt aus lauten kleinen Stalin-Köpfen zusammen. „Post-Soz-Art“ schlägt Sandmann als Begriff für diese Zeit vor, in der Künstler nicht mehr die Verfolgung befürchten mussten. Fast alle Künstler der Ausstellung kommen mit den Farben Rot und Schwarz und einem knappen Vorrat an Ikonen aus, der die Soz-Art auch zu einem sehr engen Gebiet macht. Irgendwann verliert die Ironie gegenüber der Wiederkehr des Immergleichen ihren Biss. Diese Kunst ist zu schnell zu einem historischen Kapitel geworden, die ironischen Haltung zu einem Markenzeichen. Dabei hat die Kritik an den Ritualen der Machtausübung ihren Boden längst noch nicht verloren. Der Alltag ist nicht einfacher geworden, der Mangel nicht verschwunden, und manchmal scheint es, als wäre die Änderung der politischen Vorzeichen kaum über die ikonografische Ebene hinausgekommen.

Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur, Friedrichstr. 176–179, Di.–Fr. 15–19 Uhr, Sa. und So. 14–18 Uhr. Katalog 25 DM