Provinz-TV gegen Weltnachrichten

Während andere Bundesländer ihre Offenen Kanäle weiterentwickeln, will die große Koalition in Berlin das „Kind der 80er-Jahre“ abschaffen

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Wieder einmal will die Hauptstadt Vorreiter sein. Diesmal bei der Einschränkung der freien Meinungsäußerung. Während andere Bundesländer ihre Offenen Kanäle weiterentwickeln, diskutiert die Koalition die Abschaffung des Offenen Kanals Berlin (OKB), um einem weiteren kommerziellen Sender einen Platz im Kabel anbieten zu können. Pro 7 will mit seinem Nachrichtensender N 24, der in der Stadt bisher nur über Satellit zu empfangen ist, ins Berliner Kabelnetz – und das ist voll.

Nachdem bisherige Versuche der CDU, das „Bürgerforum“ abzuschalten, stets am Widerstand der SPD gescheitert waren, weht seit Antritt des neuen medienpolitischen Sprechers der Sozialdemokraten, Andreas Köhler, ein neuer Wind. In der Koalitionsvereinbarung heißt es trotz geforderter „Meinungsvielfalt in Berlin“, dass die Koalition prüfen wolle, ob alle bisherigen Anbieter im Kabelnetz „tatsächlich zur Meinungsvielfalt in Berlin beitragen“. Als Köhler erklärte, dass er sich durchaus vorstellen könne, „das Experiment Offener Kanal zu beenden“, löste er einen Sturm der Entrüstung aus. „Unerhört!“ und „Peinlich!“, rief die medienpolitische Sprecherin der Grünen, Alice Ströver. Lothar Bisky, PDS-Fraktionschef im Potsdamer Landtag, erklärte, dass Berlin den Offenen Kanal brauche, um Weltstadt zu werden. Gestern Abend wurde diese Diskussion bei einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Runde unter dem Motto „Abschalten oder weiterentwickeln“ fortgeführt.

OKB-Chef Jürgen Linke nimmt die Diskussion „mit großer Sorge“ zur Kenntnis. „Andere Bundesländer haben ihre Mediengesetze zur Einführung Offener Kanäle geändert, und Berlin macht es andersrum.“ Linke betont, sich durchaus einer Diskussion um die Qualität des Programms zu stellen. Doch weil der OKB „kein massenattraktives Programm“ mache, seien Einschaltquoten nicht von Bedeutung. Auch einige Nutzer sehen das Programm durchaus kritisch: „Viele kommen trotz grundsätzlicher Sympathie nicht umhin zuzugeben, dass der OKB wie ein völlig unstrukturiertes Flickwerk teilweise krudester Meinungsbekundungen aussieht“, erklärten die Macher von „Steinschlag TV“. Diese wünschen sich deshalb eine Debatte über „möglicherweise bessere Modelle des Bürgerzugangs zu Funk und Fernsehen“ wie es ihn mit dem Freien Radio „Dreyeckland“ in Freiburg gibt.

Qualität hin oder her – wirklich erfreut über die Diskussion zeigt sich allein die CDU. Denn wenn sie die Sozialdemokraten im Boot hat, müssten nur noch die Brandenburger ihren Segen geben, und der Medienstaatsvertrag, in dem der Offene Kanal festgeschrieben ist, könnte geändert werden. Weil es in Brandenburg keine Offenen Kanäle gibt, hält sich deren Leidenschaft in Grenzen. „Wir haben den Berlinern schon vor zwei Jahren signalisiert“, sagt Rundfunkreferent Sascha Bakarinow, „dass es eine ureigene Berliner Entscheidung ist, die wir mittragen würden.“

Vor wenigen Tagen knickte die Berliner SPD jedoch wieder leicht ein. Köhler erklärte, dass er lediglich eine „offene Diskussion“ angestoßen habe und eine Instrumentalisierung seiner Partei für medienpolitische Ziele der CDU nicht in Frage komme. Gegenüber der taz betonte er, dass von Zurückrudern nicht die Rede sein könne. „In letzter Konsequenz“ sei zu überlegen, den Offenen Kanal zu schließen, weil er „verstaubt“ sei. Der Kabelkanal sei „ein Kind der 80er-Jahre“, der „als Reflex gegen das Privatfernsehen“ entstanden sei. Heute würden sich junge Menschen weniger für Radio und Fernsehen und mehr fürs Internet interessieren.

Eine Sprecherin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) gibt zu bedenken, dass es einer „sorgfältigen Abwägung“ bedürfe und dass der Offene Kanal Berlin nichts sei, „worauf man locker verzichten kann“. Zudem würde eine Abschaltung nicht automatisch bedeuten, dass N 24 den Zuschlag bekommt. Der Sender könnte sich lediglich an einem Auswahlverfahren beteiligen.

Während die CDU mit N 24 auf einige mögliche Arbeitsplätze hofft, betont der medienpolitische Sprecher der SPD, dass N 24 „kein gutes Angebot“ für Berlin sei. Begründung: „Bisher hat Leo Kirch zu wenig für die Stadt getan, als dass er politisch protegiert werden müsste.“ Vielleicht hat die Ablehnung des Nachrichtensenders ja auch mit der Berliner Pro-7-Repräsentantin zu tun. Gabriele Wiechatzek war früher stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner CDU und Rundfunkratsvorsitzende des Senders Freies Berlin.