: Billige Käfer für Europa
Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und Europa unterzeichnet. Transnationale Konzerne und europäische Käufer können sich freuen. Die Armen profitieren nicht von der Liberalisierung
aus MexikoANNE HUFFSCHMID
Seit Mitte der Achtzigerjahre setzt Mexiko auf einen radikalen Öffnungskurs zum Weltmarkt, und der trägt nun Früchte: Gestern beschlossen die EU-Minister am Rande des Lissabon-Gipfels die endgültige Einrichtung eines bilateralen Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und der EU. Es soll im Juli in Kraft treten.
Danach sollen im Laufe von nur sieben Jahren nahezu alle Warenzölle im europäisch-mexikanischen Handelsverkehr abgebaut werden. Lediglich ein kleiner Startvorteil wird den Mexikanern gewährt: Während im ersten Jahr knapp die Hälfte aller europäischen Exportprodukte (47 Prozent) zollfrei auf den mexikanischen Markt kommen, dürfen mexikanische Exporteure dieses Jahr schon 82 Prozent ihrer Produkte ohne Zollbelastung auf dem Euromarkt absetzen.
Nach Aussage des mexikanischen Wirtschaftsministeriums geht es dabei vor allem um eine „Diversifizierung“ der extrem US-abhängigen Exportwirtschaft. Gehen heute mehr als 85 Prozent aller Exporte in die USA, so werden in Europa rund fünf Prozent verkauft. Umgekehrt werden drei viertel aller Waren aus den USA und gerade mal 9 Prozent von europäischen Anbietern bezogen. Während die 200 Millionen Eurobürger für Mexiko einen exklusiven Absatzmarkt für Früchte und Tequila darstellen, sehen europäische Exporteure in Mexiko ein potenzielles Einfallstor nach Nordamerika: „Mexiko öffnet uns die Türen zum Norden und Süden“, räumt einer der EU-Verhandler freimütig ein. Mit dem Abkommen, das eine schrittweise Abschaffung der Zölle bis 2003 vorsieht, können die in Mexiko ansässigen, meist ausländischen Automobilkonzerne ihre Fahrzeuge künftig gewinnbringender nach Europa (zurück-)exportieren – beispielsweise den nur im mexikanischen VW-Werk produzierten New Beetle.
Mit dem EU-Handel wegvon der US-Abhängigkeit
Wettbewerbsschwächere Branchen, wie beispielsweise die Pharmaindustrie oder die Landwirtschaft, befürchten hingegen schon jetzt Importschwemmen aus der subventionierten europäischen Konkurrenz. Und Kritiker warnen vor der regierungsamtlichen Freihandelseuphorie. Zwar sieht die Bilanz des Nafta-Freihandelvertrages zwischen Mexiko und den USA, der im Januar 1994 in Kraft trat, erst mal nicht schlecht aus. Hatte Mexiko 1993 noch Waren im Wert von 52 Milliarden Dollar in den Norden verkauft, so waren es 1999 schon 135 Milliarden. Noch stärker haben allerdings die Importe zugenommen: Mit über 5 Milliarden Dollar wies Mexiko vergangenes Jahr das größte Handelsbilanzdefizit Lateinamerikas auf.
Die versprochenen Lohnsteigerungen blieben hingegen aus, in der Industrie hat der Reallohn sogar ein Fünftel seiner Kaufkraft eingebüßt. Attraktiv ist für Investoren ja gerade das niedrige Lohnniveau in Mexiko. Auch der Exportboom erweist sich bei näherer Betrachtung als zweischneidig: Neben den Veredelungsindustrien (Maquiladoras), die außer Beschäftigungseffekten so gut wie keine Impulse auf die heimische Wirtschaft haben, konnten nur etwa 300, zumeist transnational dominierte Unternehmen den Abbau der Handelsbeschränkungen nutzen.
Für die Armen lohnt sichdie Liberalisierung nicht
Den Armen Mexikos hat die Liberalisierung ohnehin nichts gebracht: Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bankengruppe Banamex leben heute 28 Prozent der 95 Millionen Mexikaner im extremen Elend. Mitte der Achtzigerjahre 1984 waren es „nur“ 15 Prozent der Gesamtbevölkerung gewesen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verlangen regierungskritische Experten, wie die Gründerin des „Aktionsnetzwerks Freihandel“, die Gewerkschafterin Berta Luján, dass das neue Abkommen mit Europa „einer anderen Logik folgen“ müsse. „Damit die europäischen Multis nicht einfach nur die niedrigen Löhne in Mexiko benutzen und Arbeitsstandards in Europa unterlaufen“, solle die Regierung die Öffnung wirtschaftspolitisch steuern und die unberechenbaren Spekulationskapitale – die 94 zum Tequila-Crash führten – regulieren.
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