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Intellektuelle Nullnummer

■ Anina La Roches Diplom-Fassbinder scheiter auf Kampnagel

Zumindest neugierig durfte man sein: Was interessiert im Jahr 2000 eine 28-jährige Regisseurin kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung an Rainer Werner Fassbinder? Und warum wählt sie ein Stück aus der zweiten Reihe für ihre Abschlussinszenierung? Mit Blut am Hals der Katze hat Fassbinder wahrlich alles andere als ein Meisterwerk geschaffen. Er sagt: Die ökonomischen und zwischenmenschlichen Beziehungen auf unserem Planeten ergeben keinen Sinn, wenn man sie – neutral – von außen betrachtet; die (Alltags-)Sprache liefert lediglich ein Zerrbild der Verhältnisse.

Die Form, die Fassbinder dafür findet, ist gelinde gesagt grob: Gesellschaftliche Abziehbilder (Polizist, Lehrer, Metzger, Soldatenwitwe, Modell etc.) sind Textträger von Allgemeinplätzen, eine Außerirdische dokumentiert Fetzen ihrer Kommunikation und führt diese ad absurdum.

Anina La Roche, Hamburger Schauspieltheater-Regie-Studen-tin, hat mit ihrer Kampnagel-Inszenierung dem erst mal nicht viel hinzuzufügen, und sogar die schließliche Beißwut der Alien-Schönheit Phoebe Zeitgeist, die hier aus unerfindlichen Gründen von einem Mann gespielt wird, findet sich wortwörtlich wieder. Eine Haltung zum Autor und seiner Bedeutung, dem gesellschaftlichen Zustand Deutschlands anno 1971 (Entstehung des Stücks, Geburtsjahr der Regisseurin) und ein präzises Ausloten der Relevanz des Textes aus heutiger Sicht – all das vermisst man hingegen. Und das ist fatal. La Roche scheint zu glauben, Fassbinders (schlaffe) Systemkritik übertrage sich wie von selbst auf unsere Medienwelt. Ein Missverständnis. Was dabei besten- respektive schlimmstenfalls herauskommt, ist eine Art Situationskomik anlässlich mancher stilisiert banaler Textstellen, die allerdings seltsam unabsichtlich auf Kosten des Dramatikers geht.

In dieser intellektuellen Nullnummer können immerhin die Schauspieler (Ingo Brosch, Claudia Fenner, Adnan Softic, Susanne Stangl, Jost Wiegand, Orazio Zambelletti) überzeugen. Würde Anina La Roche ein normales Fach studieren, müsste sie jetzt noch mal zwei Semester dranhängen.

Ralf Poerschke

noch Sonnabend, 19.30 Uhr, k1

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