: Das Wegenetz wird langsam gesponnen
In Brandenburg lassen Fortschritte in der Verkehrspolitik für Radfahrer auf sich warten. Radfahren im Märkischen war vor knapp zehn Jahren noch ein Naturerlebnis. Jetzt ist es vor allem ein Abenteuer zwischen Blechlawinen in Berlins Speckgürtel.von TOM NIEMANN
Vor nicht einmal zwei Jahren sprach der brandenburgische Ex- Wirtschaftsminister Burkhard Dreher (SPD) davon, Brandenburg von seinem Status als Radwander-Entwicklungsland zu erlösen. Mit Hilfe von 130 Millionen Mark Fördermitteln war bis zum Jahr 2001 der Ausbau des Fernwandernetzes sowie der Aus- und Neubau weiterer zehn regionaler Netze mit mehr als 1.800 Kilometern Radwegen geplant. Betrachtet man heute jedoch nur die regionalen Fahrrad-Verkehrsverhältnisse, so lässt der versprochene Fortschritt noch immer auf sich warten.
„In Potsdam ist die Situation für Radfahrer sogar noch weit schlechter als in Berlin“ sagt Georg Michaelis, Vorstandsmitglied des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Brandenburg. „Am Platz der Einheit zum Beispiel wurde die Verkehrsführung zwar zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs geändert, jedoch sehr auf Kosten der Sicherheit für Radfahrer.“ Immerhin gehört diese zentrale Stelle zur Fahrradroute Richtung Norden zur Bundesgartenschau, der so genannten Buga-Route.
„Eine zufrieden stellende Radwegesituation trifft man eigentlich nur punktuell an, wie etwa zwischen regionalen Schulen und Sportplätzen“, so die Bewertung von Axel von Blomberg, Geschäftsführer des ADFC-Brandenburg. Dies gelte jedoch lediglich für die westlichen und nördlichen Gemeinden wie Falkensee oder Birkenwerder, die im Hinblick auf eine Anbindung an das Umland wiederum äußerst schlecht dastehen. „Will man von dort aus größere Touren mit dem Rad bewältigen, so sind katastrophale Zustände anzutreffen. Stark befahrene Landstraßen ganz ohne Radwege oder die vorhandenen Radwege sind alles andere als sicher“, beschreibt von Blomberg die gegenwärtige Situation. Mit einer maximalen Breite von 1,20 Meter und zahlreichen Unterbrechungen durch Baustellen genügen die vorhandenen Radwege nur selten den Anforderungen des ADFC.
Anfang der 90er-Jahre war Radfahren im Brandenburgischen noch ein echtes Naturerlebnis. Nach der Maueröffnung konnte sich der Berliner Radfahrer nichts Schöneres vorstellen, als die von Autos wenig befahrenen Alleen des Berliner Umlandes zu beradeln. Dagegen stand der Wunsch vieler Brandenburger, endlich ihren Trabi oder Wartburg gegen einen Golf GTI oder Manta GT auszutauschen. Wo Radwege zunächst von niemandem vermisst wurden, entstand kurzerhand eine gar bedrohliche Situation für Radfahrer durch die vielen schnellen Autos.
Da das Land Brandenburg mehr und mehr auf den Tourismus als Wirtschaftsfaktor setzt, könnte man meinen, dass die Ziele des ADFC – die Förderung des Fahrradverkehrs in Zusammenarbeit mit Bahn und öffentlichem Nahverkehr – und die wirtschaftlichen Interessen des Landes leicht miteinander zu vereinbaren sind. Dennoch tendieren die Verkehrsplaner immer noch dazu, Radwege parallel zu den anliegenden Hauptverkehrsstraßen verlaufen zu lassen – so auch die Strecke entlang der Bundesstraße 101 von Großbeeren Richtung Tempelhof. „Von frischer Luft und naturnaher Umgebung keine Spur“, so die Kritik Axel von Blombergs.
Ein großes Problem ist für ihn nach wie vor die mangelnde Vernetzung von Radwegen zu so genannten Velorouten. Im brandenburgischen Wirtschaftsministerium sieht man die Lage weniger dramatisch. „Im Jahr 1998 wurden weniger als 50 Kilometer der Radwege straßenbegleitend gebaut“, so Martin Linsen, persönlicher Referent des Staatssekretärs.
Einzig der Landkreis Spree-Neiße verdient nach Meinung Benno Kochs, Sprecher des ADFC-Berlin, das Prädikat einer „wirklich fahrradfreundlichen Region“. Auf asphaltierten, oft autofreien Strecken gelangt der Radwanderer zu Sehenswürdigkeiten wie dem agrarhistorischen Bauernhof in Bloischdorf oder der Glashütte in Döbern.
„Auf Bundesebene wurde der Ausbau des deutschlandweiten Radwandernetzes mit insgesamt zwölf Routen bereits beschlossen, wovon vier allein das Land Brandenburg betreffen. Darin sind sowohl die Elbe- als auch die Oder-Neiße-Route enthalten“, sagt Linsen über künftige Vorhaben.
Im westfälischen Münsterland, in Hamburg und München können dagegen schon längst vorbildliche Verhältnisse für Radfahrer angetroffen werden. Zwischen 12 und 18 Prozent aller Wege werden dort mit dem Fahrrad zurückgelegt, wogegen die Statistik für Berlin mit rund sechs Prozent geradezu armselig ausfällt.
Die jüngste Verkehrs- und Fahrradstatistik – im Mai 1998 für Brandenburg erstellt – ergab, dass die Nutzung des Drahtesels mit 16,5 Prozent gegenüber 9,1 Prozent aus 1991 tendenziell positiv zu bewerten sei. Der ADFC hält diesen Wert aber für geschönt. „Wahrscheinlich wurden entsprechende Umfragen hauptsächlich in Uni-Nähe durchgeführt“, vermutet Michaelis. Ausnahmen bilden lediglich die Bezirke Cottbus und Senftenberg, denen der ADFC einen Fahrradanteil von sechzehn bis zwanzig Prozent zuschreibt.
Bereits im April wird sich entscheiden, ob auch die Gemeinde Zeuthen bald mit einem neuen Radweg werben darf. Der Zeuthener See gilt schließlich als ein sehr starkes Zugpferd für den Brandenburg-Tourismus. „Und Radfahrer sind schon längst keine armen Leute mehr“, besagen neueste Untersuchungen des ADFC, „schließlich gibt der übernachtende Radfahrer im Schnitt zwanzig Prozent mehr aus als der Autotourist.“
Im April fällt auch die Entscheidung, ob mit dem Neubau des Radwanderweges Zeuthener See und der Gestaltung der begleitenden Grünflächen begonnen werden kann. Voraussetzung dafür ist die Bewilligung der beantragten Fördergelder. Die Chancen auf Zuschüsse für das 2,7 Millionen Mark teure Projekt stehen gut, da der Radwanderweg auch Anbindung an das Vier-Wege-Netz des Kreises Dahme-Spreewald, an den Hofjagdweg von Königs Wusterhausen sowie nach Lübben finden könnte.
Zitat:
Eine wirklich zufrieden stellende Radwegesituation trifft man eigentlich nur punktuell an, wie etwa zwischen regionalen Schulen und Sportplätzen
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