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ejectSTEFAN KUZMANY über die Attraktivität des Programmangebots

EVA HERMANN LÄCHELN HÖREN

Ich habe keinen Fernseher mehr. Seit ich keinen Fernseher mehr habe, geht es mir gar nicht gut. Das könnte damit zusammenhängen, dass ich nicht nur keinen Fernseher mehr habe, sondern den Fernseher, den ich nicht mehr habe, persönlich vier Stockwerke hinuntertragen musste und dann drei wieder hinauf. Seither habe ich Rückenschmerzen. Genau genommen war es nicht mal mein Fernseher. Ich hatte ihn mir nur ausgeliehen, und der Besitzer wollte ihn plötzlich zurückhaben. So plötzlich. Zu plötzlich. Ich musste ihn auch noch selbst tragen. Wie schäbig können Menschen sein – das habe ich jetzt gelernt.

Am meisten vermisse ich die Nachrichten, vor allem das bezaubernde Lächeln von Eva Hermann. Ja, Sie haben richtig gelesen. Und das ist noch nicht alles: Wenn alle jetzt über diese Sendung reden, Sie wissen schon, die, über welche alle reden, dann kann ich gar nichts sagen, weil ich sie ja nicht gesehen habe. Ich habe nämlich keinen Fernseher mehr. „Freunde“ wenden sich ab. Wer will schon mit jemandem gesehen werden, der keinen Fernseher hat.

Meine D-Box, diese Wundergerät zum Empfang des Wunderprogramms „Premiere World“, habe ich allerdings noch. Sie steht, formschön wie damals geliefert, noch immer an ihrem alten Platz und wartet darauf, an einen Fernseher angeschlossen zu werden. Da kann sie lange warten. Bis dahin nutze ich sie als Uhr. Die D-Box ist die einzige genau gehende Uhr in meinem Haushalt, denn sie wird über das Kabelnetz getaktet. Sie leuchtet in zartem Grün, auch nachts. Das vermittelt ein Gefühl von technischer Perfektion und Sicherheit. Einen neuen Fernseher kann ich mir zur Zeit nicht leisten. Das ganze Geld ist für die D-Box draufgegangen. Jeden Monat buchen diese Premiere-Verbrecher über 70 Mark von meinem Konto ab, obwohl ich doch gar kein Premiere sehen kann, weil ich keinen Fernseher mehr habe. Na ja, eine schöne Uhr wäre auch nicht ganz billig gewesen.

Das Problem ist nur: Ich weiß nicht recht, was ich ohne Fernseher anfangen soll. Manchmal schmökere ich wehmütig in Programmzeitschriften. Seit ich keinen Fernseher mehr habe, erscheint mir das Programmangebot irgendwie attraktiver, sowohl das öffentlich-rechtliche als auch das der Privatsender.

Wenn mir das mit den Programmzeitschriften zu traurig wird, dann schließe ich die D-Box auch mal an meine Stereoanlage an. Die habe ich noch, und dann kann ich wenigstens den Ton verfolgen. So bleibe ich auf dem Laufenden. Regelmäßig um 20 Uhr schließe ich die D-Box an die Stereoanlage an, und hoffe, dass ich Eva Hermann lächeln hören kann. Aber meistens ist da nur der doofe Jens Riewa. Und den mag ich nicht sehen. Kann ich auch gar nicht: Ich habe nämlich keinen Fernseher mehr. Ich will ihn aber auch nicht hören. Deshalb schalte ich um auf den „Blue Channel“. Das ist dann so wie früher, als ich noch keine D-Box hatte, aber dafür einen Fernseher: Premiere? Das waren für mich stöhnende Menschen ohne Bild. Eigentlich ziemlich sinnlos, aber doch – anregend.

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