■ Der grüne Parteitag ist vorbei, dochdie Diskussion um den AKW-Ausstiegund die Strukturreform wird fortgesetzt: Standing Ovations für Träume?
betr.: „Grünen-Chefin im Oberwasser“, taz vom 21. 3. 00, „Stehende Ovationen für Jürgen Tritt-i(h)n“ u.a., taz vom 20. 3. 00
Die angeblich grüne Partei hat in Karlsruhe beschlossen, die gigantischen Folgekosten der Atomenergie uns Steuerzahlern und nachfolgenden Generationen aufzubürden. Indem sie den Atomausstieg auf den St. Nimmerleinstag verschoben, haben Bündnis 90/Die Grünen nicht nur ihr Wahlprogramm, sondern auch die bei Parteigründung geltenden Grundsätze endgültig verraten. Dies zeigt, dass Fischer und Trittin mit Naturschützern und Atomkraftgegnern nichts am Hut haben und diese nur für die eigene Karriere missbrauchten. [...] ILONA BOGASCHOFF, Hofheim
Gejubelt hat die Versammlung, weil deutlich wurde, dass Trittin im Kern noch genauso AKW-Gegner ist wie vor 23 Jahren am Bauzaun in Brokdorf. Die 30 Jahre wurden zähneknirschend als Kompromiss hingenommen angesichts der realen Machtverhältnisse. Um auch wenigstens diese unzureichende Lösung durchzusetzen, sollten die AKW-Gegner statt in den Verrat!-Verrat!-Reflex zu verfallen, wieder beginnen, Druck auf die Atomlobby auszuüben. Oder ist das Vertrauen in den Parlamentarismus so groß, dass wirklich jemand glaubt, eine Sechsprozentpartei könne kraft der besseren Argumente so etwas allein durchsetzen?
HORST SCHIERMEYER, Zittau
So haben wir uns nicht den 20 Jahre lang von den Grünen propagierten „Sofortausstieg“ vorgestellt. Selbst im Wahlkampf gemachte Versprechungen werden nicht erfüllt: Es sollten in dieser Legislaturperiode sechs Atomkraftwerke stillgelegt und sofort nach Regierungsantritt die ältesten vom Netz genommen werden. Es sollte umgehend ein Atomausstiegsgesetz verabschiedet werden.
Wir fragen uns: Wieso wird eigentlich von atomkritischen Politikern akzeptiert, dass der Staat – die Allgemeinheit – einen Preis für den Ausstieg zahlen soll? Wieso soll die Atomindustrie dafür entschädigt werden, dass sie aufhört, die Bevölkerung zu gefährden und zu schädigen?
Wir AtomkraftgegnerInnen im BUND lehnen die Atomkraft ab, weil sie unbeherrschbar ist. [...] ARNO KOHLERT,
BUND Kreisgruppe Aachen-Land
[...] Wenn die Bundesdelegiertenkonferenz eines gezeigt hat, dann das, dass die Grünen noch immer eine etwas andere Partei sind, die noch immer sperrig sowohl zu den Wünschen der Medien als auch zu den Wünschen der Parteielite steht – und trotzdem pragmatische Lösungen mitträgt. Die den Weg zum Ausstieg der Regierung unterstüzt, aber trotzdem im selben Antrag angekündigt hat, außerparlamentarische Aktionen für den Ausstieg mitzutragen.
TILL WESTERMAYER, Freiburg
[...] Ich glaube, dass der Jubel in der super Rede begründet ist, die Jürgen Trittin am Samstag gehalten hat. Die Rede war sowohl rhetorisch als auch inhaltlich sehr überzeugend. Auch wenn sie einige „große Kröten“ enthielt, die nicht so leicht verdaulich waren und verständlicherweise bei den Bürgerinitiativen in Ahaus und Wendland auf keine Gegenliebe stoßen werden.
Aber bei der überwältigenden Mehrheit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gegen die SPD leider nicht mehr durchzusetzen ist und bei einer großen Koalition noch nicht einmal das jetzt Erreichte kommen würde. Jetzt kommt es darauf an, der Industrie Druck zu machen und den Beschluss vom Samstag auch umzusetzen. [...] PHILIPP HORN, Karlsruhe
Jetzt bekommt also der Herr Trittin Standing Ovations für seine Träume vom Ausstieg nach 30 Jahren Laufzeit. Als ob auch nur das gegen Schröder und die Atomindustrie durchzusetzen wäre! Die tolle Sechspfennig-Ökosteuer des selbst ernannten Autofanatikers Schröder ist so erfolgreich, dass jetzt, selbstredend mit Zustimmung der Grünen, Autobahnen sechsspurig ausgebaut werden. Panzerlieferungen an die Türkei gefährden selbstverständlich weder die Koalition noch die dazugehörigen Regierungspöstchen. Nach dem Verlust von mehr als 25 Prozent der Stimmen bei der letzten Wahl in Schleswig-Holstein spricht der famose Herr Bütikofer von einem Sieg und die jetzt offenbar völlig durchgeknallte Frau Röstel möchte gar eine Euphorie dämpfen.
Und wenn die nächsten Wahlen mal wieder in die Binsen gehen, ist natürlich nicht die „grüne“ Politik Schuld, sondern mangelhafte Strukturen. [...] WERNER GUSS, Norderney
betr.: „Aufgebahrt und balsamiert?“ von Micha Hilgers, taz vom 21. 3. 00
Grundtenor des Artikels: Die Partei ist auf Grund ihres Misstrauens gegenüber persönlicher Macht und ihrer konservativen Grundhaltung unfähig, ihre Politik durch qualifiziertes Personal und professionelles Politikmanagement nach außen zu tragen, weshalb sie die Trennung von Amt und Mandat nicht aufgehoben hat. Wäre es denn professionell, wenn Herr Kuhn (oder Frau Künast) neben dem Fraktionsvorsitz in Baden-Württemberg den Parteivorsitz übernommen hätte. War er denn bisher nicht ausgelastet oder ist das professionelle Management einer Partei so einfach, dass es nebenher erledigt werden kann? Was ist an Frau Radcke unprofessionell und was ist daran professionell, zu entscheiden, dass der Parteivorsitz ein Ganztagsjobs ist, der von anderen Interessen wie die eines Fraktionsvorsitzenden oder Ministers freigehalten werden sollte? Wenn der professionelle (Psycho-)Analytiker sich doch bloß diese der Analyse förderlichen Fragen gestellt hätte, wäre er vielleicht zu einem interessanteren Ergebnis gekommen, als der schon lange üblichen (einbalsamierungswerten) Schelte über die Partei(-linke). RAINER RAUCH, Mannheim
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