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Kaffeekannen unterm Hammer

Gestern wurde das Inventar des legendären Café Kranzler versteigert. Das Stammpublikum hat sich bereits vor Wochen verabschiedet, nur Gastronomen und ein paar Kaffeetanten hofften auf ein Schnäppchen. Das Café weicht einem Neubau

von KIRSTEN KÜPPERS

In den 80er-Jahren setzte man auf Plexiglas. Ein durchsichtiges Schild signalisierte: Frühstücksbuffet von 8.00 bis 12.00 Uhr. Danach servierte die Kranzler-Küche Zanderfilet und Eierlikörtorte. Die Gewächshausatmosphäre wurde durch Kunstfarn und in Messing eingefasste Spiegel garantiert – so viel Süden musste sein am Kurfürstendamm.

480 Posten aus dem legendären Café Kranzler wurden gestern versteigert – ein Sammelsurium von konservierten 80er-Jahre-Reliquien aus dem alten Westberlin. Schwarzes achteckiges Geschirr ist heute unmodern, genauso wie dicke Kalorienbomben. Das Plexiglasschild geht trotzdem weg, für 280 Mark.

Weil auf dem Gelände rund um das berühmte Café künftig ein 660 Millionen Mark teures Neubau- und Sanierungsprojekt entsteht, wird per Versteigerung von Lachs-Buffetplatten und Eislöffeln ein Symbol der alten Frontstadt abgewickelt. Im Café Kranzler selbst ist die Automatik der Glasschiebetür bereits abgestellt. Auf einem Pappschild dankt das „Team“ seinen Gästen „für die langjährige Treue“. Aber gestern hatte kaum jemand einen Blick für den leer geräumten Gastraum. Wer zur Versteigerung will, muss den Eingang nebenan benutzen.

Oben im ersten Stock türmt sich Küchengerät neben zusammengeschobenen Raumteiler-Elementen. Vor dem Panoramafenster steht ein Pappkarton voller Strickjacken mit eingesticktem Kranzler-Emblem. In der Damentoilette sind die Seifenspender abmontiert, das Raumspray von der Spiegelkonsole verschwunden.

Vor dem Pult des Auktionators drängelt sich das Publikum. Stammgäste sind kaum darunter. Die meisten alten Damen, die wie ein mobiles Inventar zum Kranzler gehörten, haben sich schon vor vier Wochen vom Etablissement verabschiedet, als das Café zum letzten Mal geöffnet hatte.

Die Bieter der heutigen Auktion sind in der Mehrheit Gastronomen, die auf ein billiges Schnäppchen hoffen. „So eine abgehängte Deckenlampe könnte ich für mein Lokal schon gebrauchen“, meint ein Restaurant-Besitzer aus Charlottenburg. Weit hinten sitzt eine alte Dame mit weinrotem Hütchen. Eigentlich wird gerade ihr Kaffee-Spender, beheizbar, verscherbelt, sagt ihr beleidigtes Gesicht. Vielleicht ärgert sie sich aber auch nur über die hohen Preise. Viele lachen höhnisch, als ein defekter Eiswürfelbereiter „Icematic“ 220 Mark erzielt.

Zwar soll im Oktober ein Kaffeehaus unter gleichem Namen eröffnen. Doch der Investor hat dafür ein neues gastronomisches Konzept vorgesehen. Von einer „Schlemmerpassage“ ist die Rede. Die denkmalgeschützte Kranzler-Rotunde mit ihren rot-weißen Markisen im zweiten Geschoss soll in Zukunft eine Bar beherbergen. Von der Vision der neu gestalteten City-West künden hinter dem Café schon die fortgeschrittenen Bauarbeiten für das 16-geschossige Hochhaus. Die Pläne stammen vom Chicagoer Stararchitekten Helmut Jahn, der auch das Sony-Center entworfen hat – nichts für das alte Publikum.

Die Zeiten des alten Kranzler waren schon lange vorbei. Der Umsatz sei bereits in den letzten fünf Jahren zurückgegangen, erzählt eine ehemalige Serviererin. „Seit dem Mauerfall besuchen die Leute eher den Ostteil Berlins. Der Potsdamer Platz hat dem Ku’damm den Rang als Touristenattraktion Nummer eins längst abgelaufen“, sagt sie.

Ob sich diese Entwicklung mit der Neugestaltung der City-West wieder zurückdrehen lässt, wird sich zeigen. Gegenüber, auf dem Standort des ehemaligen Kudamm-Karrée, wird ebenfalls gebaut. Einen traurigen Eindruck machen nur die zum 1. April gekündigten Angestellten, die die Auktion im Hintergrund verfolgen. Das Schachern um einen Getränkekühlschrank für das Diät-Bier erntet Kopfschütteln. „Da blutet einem das Herz“, meint Rosita Geisler, die über 14 Jahre im Kranzler bedient hat. Erdbeerschnitten und Prominente gehörten zum täglichen Geschäft. Harald Juhnke und Heiner Lauterbach waren da, unter Rosita Geislers Aufsicht durfte auch ein Udo Lindenberg nicht seinen Kaugummi im Aschenbecher entsorgen.

Während alles verhökert wird und Trauer herrscht über das alte Haus, beginnt für eine Rentnerin mit Ballonmütze die Zukunft. Sie möchte eine über die Jahre liebgewonnene Spiegelsäule ersteigern. Die wird sie mit nach Hause nehmen, ihre Zimmerpalmen darauf platzieren und bei Kaffee und Kuchen ans alte Kranzler denken. Denn zum Plausch mit alten Damen geht sie jetzt ins Möhring.

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