Rührender Designer-Kapitalismus

Zu Zeiten von Börsenfieber und beschleunigter Welt leistet sich Sat.1 ein kathartisches Lehrstück in Sachen Nächstenliebe: „Ben & Maria – Liebe auf den zweiten Blick“ (20.15, Sat.1) schürft im tiefen Geldfluss nach Moral und Menschlichkeit

von CHRISTIAN BUSS

Kapitalismus ist besser als jedes Videospiel. Zumindest für Leute wie Ben, der auf Beschleunigung in allen Lebensbereichen setzt. Alles muss schnell sein: die Wagen, die geschäftlichen Transaktionen. Und der Sex natürlich auch: Nach dem Morgen-Quickie verabschiedet sich der Möchtegernmanager von seiner Verlobten mit den Worten: „Keine Zeit, es ist Krieg, ich muss noch ein paar Leute im Vorstand erschießen.“

Die Leute, die er umlegen will, walten über das väterliche Unternehmen, und das würde Ben gerne an die Konkurrenz verschachern, um Kapital für größere Investitionen reinzubekommen. Der zaudernden Firmenleitung rät er: „Kommen sie mal raus aus ihrer Sparbüchse!“

Der Typ mit den hohen Erwartungen und der niedrigen Hemmschwelle in Sachen Sozialverhalten erfüllt jedes Klischee eines Yuppies. Dass er nicht als reines Abziehbild endet, liegt am Darsteller Matthias Koeberlin. Der Fernsehneuling, bis jetzt nur in Berliner Theaterkreisen bekannt, gewinnt dem Großkotz ein paar interessante Nuancen ab. Klasse, wie es Koeberlin versteht, den Jammerlappen in dem ach so hart gekochten Jungunternehmer durchschimmern zu lassen: Wenn niemand hinguckt, heult Ben in sein Ziegenbärtchen. Als seine Zukünftige ihn im Bett ein bisschen zu hart rannimmt, reibt er sich nörgelnd die Lenden.

So richtig leidenschaftlich ist er eigentlich nie, auch wenn er zweifellos zu jenen Menschen gehört, die gerne vom Eros des Geldes faseln. Eilig gockelt er zwischen Konferenztischen und Boutiquen hin und her. Und überall ist er zu spät. Dauernd stößt er sich an etwas. Was daran liegt, dass ihm die Kontrolle über sein immer schnelleres Leben entgleitet. Bald hat er alles verloren: Verlobte, Freunde und – noch schlimmer – seine Kreditkarten

„Ben & Maria – Liebe auf den zweiten Blick“ erzählt ein weiteres Mal die bekannte Geschichte vom Schnösel, der Hab und Gut verlustig gehen muss, um sich selber zu finden. Regie-Routinier Uwe Janson hat diesen Selbstreinigungsprozess moderner Prägung angenehm altmodisch abfotografiert. Während Ben seinen gewagten Geschäften nachgeht, folgt ihm die wacklige Handkamera, und der rauhe Schnitt korrespondiert mit seinem in Business-Kicks fragmentierten Leben.

Einen wie Ben – auch das gehört zur Logik des Selbstfindungsdramas – kann nur noch die Liebe retten. Und die nähert sich in Gestalt der Tischlerin Maria (ebenfalls hervorragend: Stefanie Stappeneck), die dem abgestürzten Yuppie ein paar selbst gefertigte Stühle liefert. Ein hübsches Paar: hier der Sozialdarwinist im Designer-Anzug, dort die knuddelige Handwerksmeisterin mit Helfersyndrom. In Marias Betrieb arbeiten nur Obdachlose, Behinderte und andere Zukurzgekommene der Leistungsgesellschaft. Dafür kann Ben anfangs gar kein Verständnis aufbringen. Aber je mehr sich seine teuren Hemden in Fetzen auflösen, desto doller schlägt sein Herz für die Kleinunternehmerin und ihre beherzte Beschäftigungspolitik.

So funktioniert sie, die Katharsis im Zeitalter des Börsenfiebers. Der Handel mit Aktien ist in „Ben & Maria – Liebe auf den zweiten Blick“ per se keine unanständige Sache – er muss eben nur ehrenwert betrieben werden. Deshalb erinnert das Finale an die idealistischen Komödien von Frank Capra, die für einen gleichsam menschlichen Geldfluss plädieren. So wie am Ende von „Ist das Leben nicht schön?“ alle Sparkontobesitzer zusammenlegen, um den guten Kapitalisten gegen den bösen in Schutz zu nehmen, hält der zuvor vom Fusionswahn getriebene Ben auf einer Aktionärsversammlung ein Plädoyer für den Mittelstand. Allerdings entwickelt er dabei kaum die melodramatische Größe eines James Stewart; seine Rede über die Schönheit von handgefertigten Sitzhilfen kommt wahrlich hölzern daher. Irgendwie rührend, dieser Kapitalismus.