: Der Trend zum Trans
Die Oscars 2000 sind ein Kommentar zurallgegenwärtigen Geschlechtervermischung
Was ist eigentlich los mit der guten alten Academy? Da räumt ein Film, in dem es um die psychosoziale Krise des amerikanischen Mannes geht, um blumige sexuelle Fantasien, konsumverknautschte Weiblichkeit und verdrängte Homosexualität, die wichtigsten Oscars ab (bester Film, beste Regie, beste Kamera, bestes Drehbuch, bester Hauptdarsteller): „American Beauty“ von Sam Mendes, die elegische Bankrotterklärung des amerikanischen Mittelstands.
Da gewinnt Hilary Swank mit „Boys don’t cry“ den Oscar als beste Hauptdarstellerin für die Rolle einer jungen Transsexuellen, die in Männerkleidern, mit Männergesten und mit Penisprothese ihre Sehnsucht auslebt und dafür in der amerikanischen Provinz ermordet wird. Und da kriegt sogar noch eine Schmonzette wie Lasse Hallströms „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ zwei Oscars, obwohl hier ganz selbstverständlich mit humanistischer Attitüde für die Abtreibung Partei ergriffen wird. Autor John Irving schaffte es sogar irgendwie, bei der Preisverleihung zwischen „Bye!“ und Abgang noch schnell seine Solidarität mit der National Abortion Rights League zu quetschen.
Mit „Being John Malkovich“ von Spike Jonze und Anthony Minghellas „Der talentierte Mr. Ripley“ standen außerdem zwei weitere Kandidaten auf der Liste, in denen es um identity shifts geht, um homosexuelles Begehren und ums Verlangen, in die Haut des Anderen zu schlüpfen. Und beim Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film gewann mit Pedro Almodóvars „Alles über meine Mutter“ ein Melodram, in dem genau diese Utopie von einem schrillen, bunten Darstellerhaufen längst ganz warmherzig gelebt wird. Mit schwangeren Nonnen, männlichen Müttern und ganz authentischem Silikon.
Die Oscars als Lobby-Veranstaltung für Lust, Lotter und Liberales? Oder sind die Awards, deren Preisregen sich in den letzten Jahren mit Vorliebe auf historisierende Schmonzetten ergoss, einfach nur in der Gegenwart angekommen? Weg von den behäbigen Illusionsmaschinen à la „Titanic“ und „Shakespeare in Love“, hin zu einem Kino, das sich ganz selbstverständlich in Gesellschaft und Zeitgeist positioniert. Für die These, dass sich das geschlossene Initialsystem der Movies nicht mehr ganz so missionarisch als Maß aller Wirklichkeiten nimmt, könnte auch die zarte Selbstironie sprechen, mit der sich die Veranstaltung in diesem Jahr präsentierte.
Abgesehen von den unvermeidlichen Kalauern über Warren Beatty und seine hochschwangere Ehefrau Annette Benning („vielleicht startet heute die gemeinsame Produktion der beiden, har, har“) dominierte eindeutig die Tendenz zur Selbstverarschung. Ob bei Arnold Schwarzenegger „(meine halbe Karriere war ich ein Spezialeffekt“), Cher „(heute bin ich mal wie eine Erwachsene angezogen“) oder Jack Nicholson („I’m still the coolest guy in the room“) – die geradezu melancholische Einsicht in die Selbstreferenzialität des Business schien irgendwie angesagt. Natürlich eingebettet in superprofessionelles Show-Biz, das nur hin und wieder an der einzigen für Menschliches wirklich durchlässigen Stelle der Veranstaltung durchbrochen wurde – der Dankesrede. So zum Beispiel von vorzugsweise weiblichen Preisträgern, die neben ihren Eltern und allen Menschen, die sie je im Leben kennen gelernt haben, ausführlich allen Verwandten bis zum Großcousin dritten Grades danken.
Zurück ins Stadium echt peinlicher unfreiwilliger Komik fielen eigentlich nur die Einblendungen der unvermeidlichen Pro 7-Moderatoren. Da sprach ein öliger Lackaffe vom Ort der Verleihung, dem Shrine Auditorium, dauernd als „Schwein“-Auditorium, und ein blonder Klon von Claudia Schiffer erfand überraschende Überleitungen („ich übergebe mich jetzt nach München“).
Die Oscar-Verleihung selbst wurde glücklicherweise von Billy Cristal moderiert. In Form eines durchgeknallten Musicals stellte er die nominierten Filme vor, hüpfte mal als Spartacus-Kumpel, mal als Vito Corleone und besonders hinreißend als Liza Minnelli durch die amerikanische Filmgeschichte. Der Trend geht wirklich eindeutig zum Trans.
KATJA NICODEMUS
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