: Noch drei Mojito, Señor!
Wahre Lokale (13): Die dicht beschnitzte „Bodeguita del Medio“ in Havanna
Alle drei waren wir gespannt, nervös wie kleine Buben. Jeder hatte etwas anderes gehört über Hemingways Lieblingsbar. Touristisch überlaufen, sauteuer, hatten sie uns erzählt. Aber die ganz anderen Schilderungen kannten wir auch. Urig, saugemütlich. Hemingways Widmung „My mojito in La Bodeguita/My daiquiri in El Floridita“ kann doch nicht von ungefähr kommen. Jetzt waren wir also selbst hier: zum ersten Mal in Havanna, La Habana, wie es die Kubaner nennen. Hatten sie uns nicht vor den illegalen Taxis gewarnt, vor den heruntergekommenen Chevrolets, Oldsmobiles und Cadillacs. Aber sollten wir den Malecón, diese von Zerfall geprägte Prachtstraße, im modernen Import-Citroën entlangfahren? Unmöglich.
Kurz vor der Plaza de la Catedral stiegen wir aus. Waren es zwanzig oder dreißig Schritte, bis ich das erste Mal schwach wurde? „Señor, Cohiba? Montecristo? Good cigars! Very good cigars!“ Und schon ging es im Eilschritt drei, vier Querstraßen bis zur „Tejadillo“ weiter. Die Calle Emperado Nr. 207, die berühmte „La Bodeguita del Medio“, musste noch etwas warten. Zuerst hieß es: Zigarren kaufen. Und zwar genau auf die Weise, vor der sie uns noch mehr gewarnt hatten als vor den illegalen Taxis. Aber schließlich weiß der passionierte Zigarrenraucher aus Germany auf Anhieb die falsche „Cohiba Lancero“ von der echten zu unterscheiden.
Nun aber nichts wie zurück in die Calle Emperado. Kurz nach 12 Uhr mittags. Egal. Jetzt ein erster Mojito. Das knallgelbe Schild mit der schlichten schwarzen Schrift – es sollte unser universeller Habana-Wegweiser für die nächsten vier Tage werden, Anlaufpunkt in der musikdurchtränkten Metropole mit dem bröckelnden Luxus vergangener Tage. Touristenmassen quetschen sich vorbei an dem ellenlangen Türsteher, nach dem Motto „Knips und weg“. Das soll die „Bodeguita“ sein? Keine zehn Zentimeter kommst du vorwärts, ohne jemandem auf den Fuß zu treten. Da wartest du ewig auf deinen Mojito. Die übelsten Warnungen scheinen sich zu bewahrheiten.
Gleich neben dem Eingang wird gerade ein Barhocker frei, wenig später sind es drei. So wird es die nächsten vierzehn Tage immer wieder sein und im Jahr darauf, beim zweiten Kuba-Besuch, auch: Es wird immer wieder wie von selbst gehen, was kurz zuvor noch kompliziert erschien. Enrique hinter der mächtigen Bar macht ein finsteres Gesicht, egal. Ich will schließlich nur „tres Mojito“. Wortlos knallt er sie uns vor die Nase. Der Mann arbeitet wie eine Maschine, eine kräftig gebaute, eine grantige, gelangweilte Maschine. Vier Dollar sind ein stolzer Preis für einen Mojito in Kuba. Keine Frage, viel zu teuer, aber saugut.
Die Cohiba brennt gleichmäßig, Besserwisser, ihr könnt mich mal! Uns doch egal, ob die die wirklich bei Partagas oder El Laguito gedreht haben oder daheim in der Küche. Wenn hier alle diese faszinierende Musik machen können, können sie eben auch alle Zigarren drehen. Am ersten Tag freuen wir uns noch über „Guantanamera“, singen fröhlich mit. Doch es dauert nicht lange und wir stehen mehr auf „Hasta siempre comandante“. Die Erfahrung macht’s! Marianita und René, die Musiker, prosten uns zu, freuen sich, dass wir sie spüren lassen, wie gut uns ihre Musik gefällt.
Drei Tage später, es ist der Tag vor der Weiterreise ins Vinalestal, streckt uns unversehens Enrique beim täglichen Abstecher in die „Bodeguita“ plötzlich die Hand entgegen. Das tröstet darüber hinweg, dass die Musik heute weit weniger temperamentvoll klingt. Enrique grinst uns an wie drüben in der Glasvitrine Roberto Blanco, von dem gleich eine ganze Reihe Bilder hängen. Ob die hier einen Schimmer davon haben, was dieser Mann aus Kuba drüben in Deutschland für Musik macht?
Längst haben wir uns – mit Blick auf das berühmte Hemingway-Bild, das den erfahrenen Trinker mit dem máximo líder zeigt – im dicht beschnitzten Tresen verewigt. So wie das Nat King Cole, Fidel Castro, Harry Belafonte, Salvador Allende, Ernest Hemingway – wenn auch ein wenig anders – in dieser Bar ebenfalls schon getan haben.
Stolz sind wir, als wir ein Jahr später den beiden Neuen in unserer „Habana-Colección“ die Spuren des Besuchs vom Vorjahr zeigen können. Es ist, als wären wir erst gestern Abend hier rausgegangen. Die gleiche Musik, das gleiche grantige Gesicht von Enrique. Beim zweiten Mojito schaut er mir kurz in die Augen. Ob er sich nicht mehr an uns erinnert? Dämliche Frage. Bei tausendundsoundsoviel Touristen pro Tag. Er stutzt einen Moment, fragt nach dem Amigo mit dem Bart und dem mit der Videokamera; schaut sich kurz um, entdeckt die beiden – mit dem Mojito in der Hand – und schüttelt meine kräftig. „Si, si.“
Die Musiker spielen noch ein letztes Lied für heute, fragen uns, was wir hören möchten. „Yolanda“, sagen wir. Und dann zelebrieren sie dieses Stück Kuba mit einer Hingabe, die uns vollends davon überzeugt: Die „Bodeguita del Medio“ ist einfach die schönste Kneipe Havannas – wenn du nicht nur mal eben reinschaust!
KLAUS WITTMANN
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