Casting im Baumhaus

„100 x Theater für Kinder und Jugendliche“: Mit Creeps von Lutz Hübner startet hinterm Schauspielhaus ein Festival  ■ Von Ralf Poerschke

Einen schöneren Ausklang seiner so überaus erfolgreichen Amtszeit konnte sich Schauspielhaus-Intendant Frank Baumbauer wohl kaum bereiten: die Eröffnung eines neuen Theaters, und zwar speziell für junge und sehr junge Menschen. Dafür mussten der Hinterhof ordentlich gefegt, Bierdosen und Spritzen entfernt sowie Erdreich abgetragen werden – nun steht an der Ecke Ellmenreichstraße/Baumeisterstraße, direkt rückwärtig des Schauspielhauses, ein solides Zelt mit 150 Plätzen, eingekeilt zwischen zwei Kastanien: das „Baumhaus“. Vom 1. April bis zum 9. Juli wird hier „100 x Theater für Kinder und Jugendliche“ gezeigt werden: zwei Neuinszenierungen und zehn Gastspiele aus ganz Deutschland auf absehbar hohem Niveau. Theaterpädagoge Michael Müller und Dramaturg Robert Koall haben das Programm zusammengestellt.

Kein Scherz: Der Festival-Auftakt am Sonnabend mit der Urauffürung Creeps ist ein echter Knaller. Lutz Hübner, für Das Herz eines Boxers 1998 mit dem Jugendtheaterpreis ausgezeichnet, hat das Stück im Auftrag des Schauspielhauses geschrieben. Es geht um drei Mädchen zwischen 16 und 17, die zum Casting für die Moderation einer neuen „Trendfashionmusicshow“ eingeladen sind: Petra aus Chemnitz, tanzbegeistert, schlicht und mit sehr direktem Charme ausgestattet, Maren, engagiert für den Umweltschutz, interessiert am Theater und recht dünnhäutig, und Lilly, Hamburger Edelzicke mit ausgeprägtem Drang zur Selbstdarstellung auf Kosten anderer. Eine berufsjugendliche Redakteursstimme aus dem Off heizt ihnen ein, sie können ihr Talent unter Beweis stellen, aber auch ihre Schwächen werden offenbar – vor allem dann, wenn sie sich gegeneinander ausspielen. Die Desillusionierung am Ende ist perfekt.

Lutz Hübners zweites Jugendstück hat nichts von sauertöpfischer Medienschelte. Dem 36-jährigen Autor und Regisseur gelingt es vielmehr unter Verwendung einer heterogenen, sich selten aufdrängenden und stets ein wenig ironisch-distanzierten (Slang-)Sprache, popkulturelle und -kommerzielle Mechanismen unkonventionell zu analysieren; die unterschiedlichen Lebenswelten der Charaktere wirken da eher als Kontrast zum hippen Viva-MTV-H&M-Kosmos. Das ist schnell, pointiert, witzig, psychologisch ausgeklügelt und pocht so gar nicht auf – wie heißt es immer so schön schrecklich – Authentizität. Ein wirklich starker Text. Inszenieren wird das Stück für Leute ab 15 Sabine Boss, die am Schauspielhaus bereits assistierte und in der Schweiz viel Fernseherfahrung gesammelt hat, was für Creeps unbedingt von Vorteil ist, da es eine ausgeprägte Videoebene benötigt. Und mit Franziska Henschel, Joanna Kitzl und Juliane Niemann hat die Regisseurin bewusst unerfahrene Schauspielerinnen engagiert, zwei noch in der Ausbildung, eine gerade fertig damit.

Bei der zweiten Neuinszenierung handelt es sich um Die Geschichte vom Baum von Ingegerd Monthan. Unter der Regie von Franziska Steiof hat die ökologisch korrekte Ko-Produktion mit dem Hamburger Theater Triebwerk am 7. Mai Premiere. Für Kinder ab sieben gibt es dann ein Wiedersehen mit Thomas Bammer und Erik Schäffler. Ferner stehen noch im April viele namhafte Gastspiele an: das Kinder- und Jugendtheater SCHNAWWL kommt aus Mannheim mit der Kleinen Zoogeschichte von René Schack (6., 7., 27.), das Berliner Grips-Theater lässt seinen Klassiker Max und Milli um antiautoritäre Erziehung und Konsumterror wieder aufleben (11., 12.), die Gruppe Stemann zeigt ihren Werther (17., 18.) und der Thalia-Treffpunkt sein integratives Projekt Top Ten.

Ob das Baumhaus über den Juli hinaus als Spielstätte erhalten bleibt, wird sich der neue Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg gut überlegen müssen – Kinder- und Jugendtheater ist nicht nur vom sozialen Standpunkt her wichtig, sondern auch eine Investition in das „Erwachsenentheater“ von morgen. Baumbauers Finanzierungskonzept für das Festival weist jedenfalls schon mal weit in die Zukunft: Die Sponsoren Volksfürsorge, Körber-Stiftung und RWE-DEA haben alles aus eigener Tasche bezahlt.

Premiere „Creeps“: Sa, 1. April, 18 Uhr, Baumhaus (hinter dem Schauspielhaus)