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Abendliches Harmoniebedürfnis

Neue Kunstformen mit ostfriesischem Einschlag: Der Autor, Schauspieler und Musiker Mario Mentrup hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt „Print Identitäten“ und erklärt noch einmal ganz genau, was eigentlich „Neoismus“ ist

von JENNI ZYLKA

Der absolute Show-Höhepunkt ist erreicht, als nach dem dritten Text plötzlich ein freundlicher junger Mann im Kaffee Burger steht und laut und vernehmlich fragt: „Was ist denn das für ein Buch, aus dem du da gerade liest?“ – „Du“, sagt Mentrup, und hat sichtlich Mühe, nicht herauszuprusten, „das hier ist eine Lesung, das bedeutet, es ist ein neues Buch erschienen, und zwar von mir, das heißt ‚Print Identitäten‘, und daraus lese ich gerade vor ...“ Irgendwann ist halt immer die erste Lesung.

Die restlichen der etwa 50 Gäste, die im gemütlichen Burger-Wohnzimmer an den Tischen hocken, scheinen jedenfalls zu wissen, was sie erwartet, wenn der Autor, Schauspieler und Performer Mario Mentrup zur Buchvorstellung lädt. Mentrup wohnt seit 1987 in Berlin, und genauso lange schleudert er musikalische, literarische und schauspielerische Projekte heraus. Knochen=Girl, die Band, die er 22-jährig 1987 mit seiner damaligen Freundin Tanja Kopecky, ebenfalls Emdenerin, gründete, existierte als Musikprojekt bis 1995. Wenn man damals einen Auftritt der Band besuchte, erlebte man vier Menschen in kompromissloser Krachlaune, die lange Haare zu schwarzen Anzügen über lauten Gitarren und Elektroinstrumenten schleuderten, begleitet von dem Geschrei Mentrups. Eher das Gegenteil eines amüsanten Abends, aber es hatte was.

Anfang der 90er fing Mentrup, endlich kurzhaarig und damit einer kleinen, italienischen Aidan-Quinn-Ausgabe nicht unähnlich, an, in Kino- und Fernsehfilmen mitzuwirken. Schauspielern hat er nie gelernt. Im Katalog seiner Agentur finden sich da, wo bei den anderen SchauspielerInnen Informationen zum Werdegang gegeben werden, einfach ein paar Leerzeilen. Wenn man Mentrup auf der Leinwand sieht, ist der Vorteil der fehlenden Ausbildung schnell klar: Er spricht so, wie er eben spricht. Schnell, mit leichtem ostfriesischem Einschlag, manchmal stolpert er über Formulierungen oder zögert an komischen Stellen – all das, was sich gelernte SchauspielerInnen, jedenfalls in Deutschland, leider oft mühsam abtrainiert haben.

Genauso stolpert und fliegt Mentrup auch am Lesungsabend im Kaffee Burger über die Kolumnen in seinem neuen Buch. Es geht um die Pseudo-Kunstform Neoismus, „es geht um eine Menge Ismen“, sagt Mentrup am Anfang, aber eigentlich ist es nur ein weiteres Stück „Sabotage in Medienstrategien“: Mentrup und seine MitautorInnen haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein Stück Kunst herbeizuschreiben – den Neoismus. Sie haben Erfahrung mit dem Präsentieren von nichtexistenter Kunst. So wie die Zuhörer im Kaffee Burger etwas verwirrt versucht sind, die theoretischen Ausführungen über Neoismus und Replikanten ernst zu nehmen (sofern sie Mentrup, Claudia Basrwai, Darius James und Heinrich Dubel nicht von früher kennen), so reagierten auch die Besucher der „Ladybird“-Konzerte, einer anderen Band Mentrups.

„Ladybird“ war ein Projekt, bei dem die Frontfrau Tanja Kopecky und Mentrup samt ein paar weiteren Menschen als MusikerInnen zu Vollplayback Liveshows simulierten – nicht mal den Tontechnikern bei ihren „Live“-Konzerten wurde normalerweise gesagt, dass das einzige Mikrofon, dessen Kabel nicht im Nichts endete, normalerweise das von Mentrup war, damit er die Ansagen machen konnte. „Wir wollten eigentlich so etwas wie die Backstreetboys machen“, sagt Mentrup. Nur sahen sie nicht so aus und tanzten auch anders. Bei einem Konzert der Band in der Volksbühne kam sogar noch eine Lügen-Ebene dazu, noch ein weiterer Schildbürgereinfall zur Verwirrung der Massen: Angeblich wollte man den japanischen DJ Merzbow qua Internet live dazuschalten. Was die Zuschauer auf dem Fernseher neben der Bühne sahen, war aber ein vorproduziertes Video, das an einer bestimmten Stelle abbrach – „unsere Internet-Verbindung nach Japan ist zusammengebrochen!“. Verständnisvolles Nicken damals im Publikum. Technik wird glaubhafter, wenn sie nicht funktioniert.

Bei der Lesung im Kaffee Burger kämpft Mentrup wieder mit der Technik – sein Mikro fällt zeitweilig aus, und die Gäste, die später gekommen sind, um den DJ Sebastian Zabel zu hören, quatschen unbekümmert laut im Vorraum. Aber Mentrup kann auch laut werden. Und so steigert sich die Stimmung im Verlauf des Abends, mit charmanten und amüsanten Gastauftritten von Claudia Basrawi, Darius James und Heinrich Dubel, bis zum Schluss Mario Mentrup gut gelaunt ins Mikrofon schreit „wir sind sehr selbstreferenziell!“ und der Abend an eine der unvergesslichen Nächte in einem der Clubs erinnert, die Mentrup mit FreundInnen in den 90ern betrieb -die Dutschke-Bar in Schöneberg etwa, oder der Kinski-Club in Kreuzberg. Immer war es dort laut; wenn Mentrup als DJ hinter dem Pult herumzappelte, konnte es auch ganz schnell nervig werden – der Mann sabotierte halt schon immer gerne das abendliche Harmoniebedürfnis seiner Mitmenschen.

Mario Mentrup: „Print Identitäten“, Maasmedia Verlag, 176 Seiten, 28 DM

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