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Braune Leichen im Keller der SPÖ

Jahrzehntelang duldeten Österreichs Sozialdemokraten Altnazis in ihren Reihen. Dabei fiel für einige auch so mancher hochkarätiger Posten ab. Jetzt kündigt der designierte Parteichef eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an

aus wien RALF LEONHARD

Die braunen Flecken auf ihrer roten Weste will die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) in nächster Zukunft reinigen. Mit dieser Ankündigung überraschte der designierte Parteichef Alfred Gusenbauer Anfang der Woche seine Genossen. Er gehöre zu jener Generation von Sozialdemokraten, die sich nicht scheuen, dieses heikle Thema aufzugreifen, erklärte er am Donnerstag.

Politische Brisanz bekamen die Leichen im Keller der SPÖ Mitte März mit dem gescheiterten Prozess gegen den Exgerichtsgutachter Heinrich Gross. Ihm wird vorgeworfen, während des Krieges als Arzt behinderte Kinder liquidiert zu haben. Gross war nach dem Krieg jahrzehntelang Mitglied der SPÖ und genoss nicht nur den Schutz des roten Justizministeriums. Auch die rote Wissenschaftsministerin zögerte nicht, dem Vollstrecker der Rassenhygiene das Ehrenkreuz erster Klasse für Wissenschaft und Kunst an die Brust zu heften.

„Ihre Partei wirft einerseits der FPÖ zu Recht vor, sich in Worten nicht ausreichend vom Gedankengut des NS-Staates zu distanzieren, schweigt sich aber andererseits hartnäckig zu dem Vorwurf aus, selbst Nazitäter in Regierungsämter gehoben, protegiert, gedeckt oder jedenfalls nicht ausreichend verfolgt zu haben“, schrieb Christian Ortner, Mitherausgeber des Wochenmagazins Format, in einem offenen Brief an Gusenbauer.

Glorreiche Vergangenheitals hochrangiger Hitlerjunge

Dass der große Reformer Bruno Kreisky, der als Jude selbst im KZ gesessen und die Kriegsjahre im Exil verbracht hatte, keine Berührungsängste kannte, regte in den 70er-Jahren kaum jemanden auf.

Sein Innenminister Otto Rösch, der als Student nicht nur der NSDAP, sondern auch der SA beigetreten war, saß 20 Jahre in der Regierung. Auch der ehemalige Bauminister Josef Moser (1970–79) war NSDAP-Mitglied. Nur Karl Öllinger musste 1970 nach 28 Tagen aus der Regierung Kreisky zurücktreten, als jemand aufdeckte, dass der Kärtner bei der SS aktiv gewesen war. Die SPÖ-Minderheitsregierung wäre gar nicht zu Stande gekommen, wenn der damalige FPÖ-Obmann dem Kanzler nicht seine parlamentarische Duldung zugesichert hätte. Zum Dank hielt Kreisky dem Ex-SS-Mann Peter jahrelang die Stange. Unvergessen ist auch der Ausspruch des langjährigen Kärntner Landeshauptmanns Leopold Wagner, der sich seiner Vergangenheit als „hochrangiger Hitlerjunge“ rühmte.

Dass sich ehemalige Parteigänger der NSDAP nach der Entnazifizierung zu den Sozialdemokraten hingezogen fühlten, hat mehrere Gründe. Zum einen betrachteten sie ein rotes Parteibuch als Schutz vor späteren Belästigungen, zum anderen hatte die Arbeiterpartei einen großen Bedarf an Akademikern, als alle relevanten Posten der Republik im Rahmen des Proporzsystems zwischen ÖVP und SPÖ aufgeteilt wurden.

Bei den Roten konnte man daher schneller Karriere machen, als bei den Bürgerlichen. Unabhängig davon bemühte sich nicht nur der Verband der Unabhängigen (VDU, Vorläufer der FPÖ) um die Stimmen der über 500.000 Wähler, die nach vollendeter Entnazifizierung wieder in den Genuss ihrer Bürgerrechte kamen. Die SPÖ verdankte ihnen 1953 den Aufstieg zur stärksten Kraft.

Wie schnell und intensiv die Putzaktion der SPÖ vor sich gehen soll, wird im Vorstand diskutiert. Gusenbauer will sich in jedem Fall im Namen der Partei bei Überlebenden und Angehörigen der Opfer der Klinik vom Spiegelgrund, wo Gross sein Unwesen trieb, entschuldigen. Vor voreiligen Schritten warnte Nationalratspräsident Heinz Fischer. Menschen, die sich in ihrer Jugend politisch verführen ließen, aber persönlich in keine Verbrechen verstrickt waren, dürften nicht pauschal verurteilt werden, sagte er. Die Minister mit NS-Vergangenheit hätten sich zu untadeligen Demokraten gemausert.

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