: Asyl gesucht für Soldaten, die keiner mehr braucht
Kämpfer der mit Israel verbündeten Südlibanesischen Armee bangen um ihre Zukunft. Israel tut sich schwer, für die Soldaten zu sorgen
JERUSALEM taz ■ „Al-Khiam ist voll mit Deserteuren der Südlibanesischen Armee, der SLA“, weiß der Lebensmittelhändler Ali Ahmad Ghasal zu berichten. „Sie haben Angst vor dem Abzug und wollen sich mit ihrem Gefängnisaufenthalt von späteren Anschuldigen der Kollaboration freikaufen.“
56 Tage lang saß Ghasal in dem für Folter berüchtigten Gefängnis al-Khiam, bis er mit dem Hinweis „es war ein Versehen“ wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Der Chef des Minimarktes in dem kleinen Städtchen Arnoun, das unmittelbar an die so genannte israelische Sicherheitszone angrenzt, war in den Verdacht geraten, mit den schiitischen Guerillas der Hisbullah gemeinsame Sache gemacht zu haben. 150 Häftlinge sitzen seinen Schätzungen nach bis heute in al-Khiam. Die meisten davon seien ehemalige SLA-Soldaten.
Je näher der von Israel in Aussicht gestellte Abzug seiner Truppen aus dem besetzten Südlibanon rückt, desto stärker breitet sich im Libanon Angst aus unter denen, die über 20 Jahre lang mit dem Feind kollaborierten. Seite an Seite kämpften die überwiegend christlichen Südlibanesen der SLA gegen die schiitischen Freischärler der Hisbullah. Die SLA ist berüchtigt für besonders grausames Vorgehen, auch gegen Zivilisten, und für ihre oft unberechenbaren Angriffe. Umgekehrt sind sie es, die den Kopf hinhalten müssen, wenn die Hisbullah zurückschlägt.
Zwölf SLA-Soldaten starben allein in den letzten drei Monaten, darunter ein hoher Kommandant, auf den die Hisbullah ein Sprengstoffattentat verübte. Das sind weit mehr Tote, als die israelische Besatzungsarmee in der gleichen Zeit zu beklagen hatte, was allerdings auch am Zahlenverhältnis liegt. Den knapp 1.000 israelischen Soldaten stehen mehr als 2.000 südlibanesische Kameraden zur Seite.
Bis Juli dieses Jahres, eventuell sogar noch früher, will Israels Ministerpräsident Ehud Barak „unsere Jungs nach Hause holen“. Nach wie vor ist unklar, was dann aus den verbündeten Kämpfern werden soll. Berichte der auflagenstärksten israelischen Tageszeitung Yediot Aharonot über Pläne, die SLA-Soldaten zusammen mit ihren Familien nach Zypern umzusiedeln, blieben unbestätigt. Ebenso eine Meldung der englischsprachigen Jerusalem Post, nach der die Asylsuchenden um die israelische Mittelmeerstadt Naharia angesiedelt werden sollten.
Offiziell sind vorläufig nur die Versprechen der Regierung in Jerusalem, jeden SLA-Kämpfer, der keinen Unterschlupf in einem befreundeten Nachbarland findet, in Israel aufzunehmen. Ein vom israelischen Rechtsanwalt Zwi Risch vor dem Obersten Gerichtshof eingereichtes Gesuch auf garantiertes politisches Asyl für die 2.000 SLA-Angehörigen und deren Familien wurde aber abgewiesen. Auf telefonische Anfrage erklärte der Anwalt, es werde „ein Massaker geben“ unter denen, die im Libanon zurückbleiben: „Diese Leute stehen unter der Anklage des Verrats. Wir alle kennen das Urteil dafür.“ In den vergangenen Wochen habe es bereits zwei Fälle von Lynchjustiz gegeben. Zwei weitere Männer würden vermisst.
Offzielle Hisbullah-Stellen streiten indes jegliche Vergeltungspläne ab. „Es gibt einige Offiziere, an deren Händen das Blut von Unschuldigen klebt“, meint Ibrahim Musawi, Sprecher im Beiruter Hisbullah-Hauptquartier. Derer solle sich „die libanesische Regierung annehmen“. Seine Organisation habe gar ein „Generalpardon“ vorgeschlagen. „Wir haben nicht das Ziel, jemandem wehzutun“, so Musawi.
200 SLA-Leute haben bereits einen Prozess im Libanon hinter sich. Die meisten Verurteilten sind einfache Soldaten, die sich nach dem Abzug aus der südlibanesischen Stadt Jezzin freiwillig den Behörden gestellt hatten. Im Verlauf der Schauprozesse, die regelmäßig mittwochs vor einem Militärtribunal stattfanden, mussten die Angeklagten erklären, warum sie sich der SLA anschlossen. Sie begründeten dies damit, dass sie dazu gezwungen worden seien oder weil sie keinen anderen Ausweg gesehen hätten, ihre Familien finanziell zu unterstützen. Ihre Strafen beliefen sich nach Meldungen des libanesischen Daily Star auf Haftzeiten zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. SUSANNE KNAUL
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