: „Für uns ist das ein politisches Signal“
Warum Andreas Renner, Oberbürgermeister von Singen, bosnische Flüchtlinge nicht abschieben will
taz: Herr Renner, Sie wollen „Fachkräfte“ aus Bosnien und dem Kosovo vor der drohenden Abschiebung bewahren. Welche Gründe haben Sie dafür?
Andreas Renner: Das war eine Reaktion auf die Green-Card-Initiative von Bundeskanzler Schröder. Es kann nicht sein, dass man auf der einen Seite Spezialisten ins Land holt und auf der anderen Seite dringend benötigte Fachkräfte abschiebt, die sich bereits bewährt haben.
Um welche Art von Fachkräften geht es Ihnen dabei?
Das sind Techniker, Handwerker und gelernte Gastronomiekräfte, die bereits seit mehr als zwei Jahren in einem Arbeitsverhältnis stehen. Die Arbeitgeber dieser Leute versichern mir, dass sie keinen Ersatz finden, obwohl sie ständig beim Arbeitsamt nachfragen.
Vielleicht zahlen sie einfach zu schlecht ...
Nein, daran liegt es nicht. Wir haben in diesen Branchen einfach einen Mangel an Fachkräften.
Ist das ein spezifisches Problem in ihrer Region um den Bodensee?
Ich habe nach meiner Ankündigung zustimmende Briefe von Unternehmern aus ganz Baden Württemberg und auch aus Bayern bekommen. Es handelt sich also sicher nicht nur um ein lokales Problem.
Wie viele Personen stehen in Singen unter dem besonderen Schutz?
Es handelt sich konkret um etwa 20 Personen, das ist rund ein Drittel der jetzt noch in Singen lebenden Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien.
Und die anderen 40 Leute müssen nach Hause gehen. Ihre Initiative ist also primär ökonomisch bestimmt?
Ja, dies ist keine humanitäre Initiative, sondern eine Initiative im Interesse von Mittelstand, Handwerk und Gastronomie. Mittelbar hilft sie aber natürlich auch den betroffenen Flüchtlingen, denn bei ihnen zu Hause gibt es 45 Prozent Arbeitslosigkeit.
Wie wollen Sie eigentlich konkret vorgehen, um die Abschiebungen zu verhindern? Sie können ja keine Singener Green Cards vergeben.
Die Flüchtlinge haben bisher Duldungen erhalten. Unsere Ausländerbehörde wird versuchen, diese Duldungen wo möglich um ein halbes Jahr zu verlängern.
Das Regierungspräsidium Freiburg hat bereits darauf hingewiesen, dass es keinen Grund für eine Verlängerung der Duldungen sieht, insbesondere kein „besonderes öffentliches Interesse“ an einer Weiterbeschäftigung der Flüchtlinge.
Wir werden uns selbstverständlich an die Weisungen von oben halten, aber in diesem Rahmen werden wir eben auch versuchen, das Beste aus der Sache zu machen.
Mit halbjährigen Duldungen hat aber weder der Flüchtling noch der Arbeitgeber irgend eine Planungssicherheit ...
Für uns ist das auch nur ein politisches Signal. Der Vorgang zeigt lediglich, dass wir eine vernünftige und moderne Zuwanderungsregelung brauchen, so, wie sie andere europäische Länder auch haben.
Ihrem Appell hat sich der Grünen-Oberbürgermeister von Konstanz, Horst Frank, und der SPD-Oberbürgermeister von Esslingen, Jürgen Zieger, angeschlossen. Das ist ein buntes Bündnis, aber noch lange keine Massenbewegung ...
Um öffentlich auf das Problem aufmerksam zu machen, hat es gereicht. Und wir stehen jetzt natürlich unter besonderer Beobachtung. Wer nur einfach dem Mittelstand helfen will, macht dies eher im Stillen.
Interview CHRISTIAN RATH
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