piwik no script img

Das virtuose Landei

■ Der Gitarrist Leo Kottke spielte in der ausverkauften Worpsweder Music Hall

„My guitar is migrating“, entschuldigte sich Leo Kottke bei seinem Publikum in der ausverkauften Music Hall in Worpswede. Natürlich meinte er damit, dass die Saiten sich selbständig machten, und er sein Instrument immer wieder neu stimmen musste. Aber „meine Gitarre wandert“ ist ja auch eine passende poetische Umschreibung von Kottkes Spielweise.

Seine musikalischen Miniaturen scheinen nur beim ersten oberflächlichen Hören einfache Country-, Folk-, Blues-, oder Bluegrasssongs zu sein. Schnell entpuppen sie sich als brillant durcharrangierte Kunststückchen, in denen Kottke souverän und ohne viel Aufhebens davon zu machen durch die verschiedenen Stile wandert.

Seine Musik ist ländlich im bes-ten Sinne des Wortes. Auch heute noch, fast 30 Jahre, nachdem er (zusammen etwa mit John McLaughlin, Ralph Towner oder John Williams) als einer der großen Virtuosen seines Instruments entdeckt wurde, auch heute noch wirkt er auf der Bühne wie der nette Bursche vom Dorf, der in den Städten nur zu Besuch ist. Deshalb passt er auch besser in die Music Hall als etwa in die Bremer Glocke, die er übrigens in seinen Glanzzeiten auch bis auf den letzten Platz füllen konnte.

Kottke ist in allem ein Meister des Understatement: Er spielt seine irre schnellen und komplizierten Gitarrenläufe so leicht und selbstverständlich, dass man die Virtuosität kaum noch wahrnimmt. Er kommt nur mit seinen beiden Gitarren – einer sechs und einer zwölfsaitigen – auf die Bühne, spielt ein paar Stückchen und beginnt nach ein paar Anwärmern (bei denen die Zwölfsaitige noch ein wenig scheppert) kleine Geschichten zu erzählen, die ihm scheinbar gerade so in den Sinn kommen. Aber auch hier ist jedes verlegene Zögern, jedes „No, this is too embarassing“ genau kalkuliert und getimt. Kottkes Pointen sind genauso gekonnt wie seine Gitarrenriffs, und weil seine Show so perfekt stimming ist, ist man auch nicht enttäuscht, wenn er heute noch genauso spielt und erzählt wie vor Jahrzehnten. Es ist nun mal der Preis der Perfektion, dass sie in der künstlerischen Entwicklung ein Endpunkt ist. Und das Überraschende bei Kottke ist, dass er auch optisch kaum älter geworden zu sein scheint.

Der Mann ist ein Unikat, kein anderer macht solch eine Musik, einzelne Spielweisen wie die „bottleneck“-Technik oder die Polyrhythmik auf der Zwölfsaitigen kennt man auch von anderen Gitarristen, aber so eigenwillig und „down to earth“ kombiniert nur Kottke die verschiedenen Spielformen und Musikstile. Dass sich selbst für ihn in seiner so heimelig eingerichteten Nische im Musikgeschäft etwas verändert hat, beschrieb er in einer seiner kleinen stories: Seine Recordcompany sei gefeuert worden – nicht er und seine Kollegen Taj Mahal und Nina Simone, sondern das Label, auf dem sie bisher ihre Platten veröffentlichten. Nun wären sie von der „Bertelsmann-Group“ übernommen worden, ohne so recht zu wissen, was das sei, und wie es weitergehen würde. Bleibt nur zu hoffen, dass ein globaler Dorfmusiker wie Kottke auch bei diesem Global Player seine Gitarre weiter wandern lassen kann.

Wilfried Hippen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen