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Das Erfrieren im Moment der Nähe

■ Alle Welt schwatzt und schreibt von Zeitgeist-Schreibern. Peter Stamm mag sie nicht besonders. Der Schweizer Schriftsteller ist lieber ein lakonischer Beobachter / Ein Interview als Vorschau auf seinen Auftritt in Bremen

Seine Texte sind selten länger als zehn Seiten – ein Beleg, dass die klassische Short Story nicht aus der Mode ist. Peter Stamm erzählt von Menschen, ihren Sehnsüchten und Gefühlen. Und von der Flüchtigkeit des Zwischenmenschlichen. Die Form des 1963 in Weinfelden Geborenen ist kurz, präzise, unaufdringlich. Dabei nie distanziert, sondern von einem (nicht mit Gefühligkeit zu verwechselnden) Mitgefühl getragen. Die Biografien der Figuren scheinen, auch wenn sie's gern anders hätten, ähnlich verschlungene Wege zu haben wie Stamms eigene. Die Lektüre bewegt und irritiert zugleich. Und sie lässt einen nach Begriffen suchen, die nicht so abgegriffen klingen wie das Wischi-Waschi-Dauerlob für AutorInnen unter 80 „Eines der größten Talente deutschsprachiger Gegenwartsliteratur“.

taz: „So Much Water So Close To Home“, heißt eine Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Raymond Carver. Ihr aktueller Band mit Erzählungen beginnt am „Eisweiher“ und endet im „Blitzeis“. Das Wasser in allen möglichen Aggregatzuständen ist (fast) immer präsent. Warum?

Peter Stamm: Ich weiß es nicht so genau. Man hat irgendwann seine Themen. Ich merke auch, dass Fenster eine sehr große Rolle spielen. Ich habe schon eine große Liebe zum Wasser. Man könnte das natürlich symbolisch deuten, aber wenn ich die Geschichten schreibe, denke ich daran nicht. Ich habe nicht vorgehabt, eine „Wasser-Sammlung“ zu veröffentlichen.

Mit Schweden, den USA, Italien, der Schweiz spielen ihre Geschichten an unterschiedlichen Orten. Trotzdem sind die Figurenkonstellationen sehr ähnlich, auch die Disposition der Ich-Figur. Bildet das Ihre eigenen Erfahrungen ab?

Die Orte kenne ich alle. Dazu stehe ich auch. Ist ja auch nicht so peinlich. Mit 20 bin ich aus der ländlichen Umgebung, aus der ich komme, weggegangen. Nach Paris. Da ist etwas, das bleibt. Wenn man früh weggegangen ist, hat man ein gewisses Fernweh.

Und die Zufälligkeit der Begegnungen?

Abschied spielt immer eine Rolle. Man geht an Orte, trifft Leute, geht dann wieder weg und verliert sich aus den Augen. Die Probleme, mit denen sie sich herumtragen sind schon ähnliche.

Viele Kritiken sehen die Geschichten von Ankommern und Weggehern als Berichte „aus dem Leben der Singles“.

Darum ging es nicht. Sicher bin ich, wie alle, ein „Kind meiner Zeit“. Aber ich habe nicht versucht, den Roman meiner Generation zu schreiben. Ich habe mich auch immer etwas außerhalb gefühlt, dann aber wieder gemerkt, dass dieses „Sich-außerhalb-Fühlen“ bei vielen vorkommt. Vielleicht habe ich einigen aus dem Herzen gesprochen. Das war aber keine Absicht.

Viele von ihnen sind allein, einsam – wirken mitunter fast leb- oder zumindest doch sprachlos.

Sicher, doch hat es solche Figuren immer gegeben. Ich fühle mich Leuten nicht sehr nah, die versuchen, „unser Lebensgefühl“ auszudrücken. Da kommen viele Markennamen et cetera vor, und man bemerkt deutlich den Anspruch, das Zeitgefühl einer Generation beschreiben zu wollen. Damit habe ich nichts am Hut.

Womit Sie etwas am Hut haben ist das Beobachten, bzw. das Beobachten des Be-obachters. Woher kommt diese Erzählhaltung, die oft nüchtern und lakonisch, protokollarisch und reduziert wirkt, eine Art systemtheoretischer Operation?

Es scheint meinem Naturell zu entsprechen. Es ist ein faszinierendes Thema. Ich habe immer schon beobachtet. Vielleicht nicht besonders gut, was die Menschenkenntnis betrifft. Darum auch das Fenster-Thema, das ist eine klassische Beobachterposition.

Vorbilder kommen vor allem aus dem Bereich der Short Story?

Ich schätze Autoren sehr, die ein Gefühl von Wirklichkeit oder Atmosphäre erzeugen können. Das habe ich immer gewollt. Den kleinen Betrug, dass man beim Lesen vergisst, dass man liest. Ich probiere aus, wie's gelingt, dass man einen Ort fast fühlen kann. Das ist eigentlich fast Forschungsarbeit. Lakonie war nicht unbedingt das Ziel. Hemingway habe ich natürlich ausführlich gelesen. Auch Carver und Richard Ford. Vielleicht noch wichtiger ist Pavese.

Zentrales Thema ist die Authentizität von Narrativen. Ob es ums Schreiben geht, um Wissenschaft oder die Liebe. War der Zusammenhang von Erzählung und Exaktheit immer schon ein Antrieb?

In der Psychologie habe ich gemerkt, wie mitunter in der Beobachtung das Objekt verschwindet. In der Quantenphysik gibt es das Phänomen auch. Die Literatur scheint mir in der Beschreibung psychologischer Zusammenhänge oft exakter zu sein als die Psychologie selbst. Unter anderem darum habe ich das Studium abgebrochen, denn ich merkte: Mein Ziel – etwas zu verstehen – kann ich nur mit der Literatur erreichen.

Sie leben jetzt wieder in der Schweiz. Ist es auch eine Rückkehr in die Schweizer Literatur?

Ich bin Schweizer, da kann ich nichts dran machen. Es gibt schlimmere Schicksale. Einige Kollegen hier schätze ich, andere nicht so sehr. Aber eigentlich ist das kein Thema. Am liebsten würde ich mich als europäischen Erzähler sehen.

Die Kritiken waren fast ausnahmslos positiv bis überschwänglich. Ist das behindernd oder motivierend?

Hindern tut es mich nicht. Wenn ich einen Druck verspürt habe, war es eher ein innerer. Den Anspruch gut zu schreiben, habe ich sowieso.

Fragen: Tim Schomacker

Peter Stamm liest heute, 4. April, um 20 Uhr im Ambiente, Osterdeich 69a, aus seinem Erzählungsband „Blitzeis“.

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