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GESUNDHEITSMINISTERIN WILL KRANKENKASSEN UNORTHODOX SANIERENKlassenkampf im Wettbewerb

Niemand kann Andrea Fischer vorwerfen, eine blasse Figur abzugeben. Erst verliert die Gesundheitsministerin furios den Kampf um eine Gesundheitsreform. Nun will sie das System mit anderen Mitteln „vom Kopf auf die Füße stellen“, wie sie zu Amtsantritt sagte. Andrea Fischer hat den Reiz der Börse entdeckt. Nicht nur das Arbeitseinkommen soll künftig als Grundlage dienen für die Beiträge an die Krankenkasse – auch Mieteinnahmen und die Kursgewinne der Aktien sollen mitzählen. Ganz prima, Andrea! Lang lebe der Klassenkampf! Jeder liest doch jeden Tag diese Geschichten von der Arzthelferin, dem Lehrer und dem Müllmann an der Börse. Sie spekulieren sich reich und profitieren auch noch zwanglos von den Segnungen des solidarischen Krankenversicherungssystems. Der neue Börsenkapitalismus muss das Solidarsystem stützen. Logisch, oder?

Facharbeiter und Angestellte tragen zwar die gesetzlichen Krankenkassen. Doch nicht einmal 15 Prozent von ihnen zocken. Vor allem aber: Mehr als 90 Prozent der Aktionäre stecken ihr Geld in so genannte „thesaurierende“ Aktienfonds, die also den Gewinn nicht auszahlen, sondern reinvestieren. Auf die Krankenkassen kämen gigantische Verwaltungsanstrengungen zu, wollten sie die Gewinne auch nur ansatzweise eintreiben. Fischers Idee dürfte aber auch guten Parteifreunden wenig gefallen. So fordert die grüne Sozialexpertin Göring-Eckardt, 4 Prozent des Bruttoeinkommens zur privaten Pflichtvorsorge fürs Alter zurückzulegen. Sie ist nur zu froh, wenn immer mehr Leute ihr Geld an die Börse tragen. Rentenreformern muss Fischers Idee als unüberlegter Querschläger vorkommen – freundlich ausgedrückt.

Mit biederem Antikapitalismus versucht Fischer diffuse Ängste vor dem Kollaps des Gesundheitswesens aufzufangen. Offenbar gibt es in ihrem Gesundheitsministerium noch keine genaue Analyse des drohenden Defizits, außer der profunden Teilwahrheit, dass es nicht mehr lange gut geht. Ein großer Fehler liegt im System. Seitdem sich kleine Betriebskrankenkassen für alle öffnen dürfen, laufen den großen Ersatzkassen die gesunden und zahlungskräftigen Mitglieder davon. Gut 300.000 wechselten im vergangenen Jahr von einer Kasse mit einem Beitragssatz von 14 und mehr Prozent in eine Kasse zu knapp 12 Prozent. Dieser politisch forcierte Wettbewerb zwischen den Kassen ist verantwortlich dafür, dass das System insgesamt mit immer weniger Geld auszukommen hat. Andrea Fischer müsste die Solidarität zwischen den gesetzlichen Kassen neu erfinden. Eine wirklich schöne Aufgabe. ANNETTE ROGALLA

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