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Schönheit und Patriotismus

Laetitia Casta, der aktuelle Prototyp französischer Frauenschönheit, zieht aus Steuergründen nach England. Viele Franzosen fühlen sich verraten und verkauft

PARIS taz ■ Laetitia Castas Schönheit gefällt allen. Den Modemachern, die sie in Paris, Mailand, London und New York auf die Laufstege schicken. Den Frauenzeitschriften, die hunderte von Titeln mit ihrem Konterfei schmücken. Und den 36.778 französischen BürgermeisterInnen, die sie jüngst zur „Marianne des Jahres 2000“ wählten.

In dieser Woche gehen die ersten tief dekolletierten Bronzebüsten der 21-Jährigen in Antony bei Paris vom Band. Als Ablösung der in die Jahre gekommenen früheren Modelle, für die Brigitte Bardot und Catherine Deneuve Patin standen, sind sie für die Simse in den Heiratssälen der französischen Rathäuser bestimmt. Die Tradition verlangt, dass dort stets eine schöne junge Frau die „staatsbürgerlichen Werte“ repräsentiert.

Mit mädchenhaftem Charme hatte Laetitia Casta im vergangenen Jahr erklärt, welch „große Ehre“ die Marianne-Wahl für sie sei, dazu hinreißend gelächelt und mehrere artige Sätze über die Französische Republik gesagt. Fast das ganze Land lag ihr zu Füßen. Wenige Monate später erleben die Franzosen jetzt jedoch ein böses Erwachen mit ihrer patriotischen Schönheit. Denn Zeitungsberichten zufolge schickt sich die schöne Laetitia Casta an, Paris zu verlassen. Um Steuern zu sparen, wolle sie sich in London niederlassen, griff die englische Times ein Gerücht auf, das schon seit Wochen durch die französischen Medien geistert.

Das Symbol ihrer Republik, ein schnöder Steuerflüchtling? Dazu noch ausgerechnet zu den Erzfeinden jenseits des Kanals? In eine Monarchie? Das war zu viel für die meisten Franzosen. Und damit wurde die schöne Laetitia Casta zum Politikum.

Innenminister Jean-Pierre Chévènement persönlich riet ihr in väterlich suffisantem Ton von dem Fahnenwechsel ab. Unter anderem nannte er die miese Qualität der Krankenhäuser und die erbärmlichen Renten in England als Gegenargumente. Franzosen mit weniger öffentlichen Ämtern zeigten ihre Wut entschieden deutlicher. Leute wie Laetitia Casta, die Millionen verdienten und aus Steuergründen ins Ausland flüchteten, sollten in Frankreich auch nicht mehr in den Genuss der subventionierten Leistungen des öffentlichen Dienstes kommen, schimpften sie gestern in Paris. Andere hingegen sehen in Laetitia Castas etwaigem Umzug eine gute Gelegenheit, erneut gegen den Missstand „viel zu hoher Vermögenssteuern“ zu Felde zu ziehen.

Während die Erkenntnis, dass Schönheit nicht gleichbedeutend mit Patriotismus ist, viele Franzosen entsetzt, können jetzt auch einige erleichtert aufatmen. Darunter jene viel belächelten Bürgermeister, die keine Laetitia-Casta-Büsten auf ihren Simsen wollten und stattdessen dorfintern nach Modellfrauen aus dem Volke suchten. Ihre Mariannes steigen jetzt im Wert.

DOROTHEA HAHN

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