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Abtanzen mit James und Knut

■ Seit Jahren sorgt die Urban Jazz Clique für eine Revitalisierung des Jazz. Ihr DJ Sebastian Kobs wartet wieder mal mit neuen Ideen am neuen Ort auf

In den 60er, 70er und 80er Jahren dachte wohl gar manches Bürgerkind aufgrund der elterlichen Musikgepflogenheiten bei der Abendspeisung, John Coltrane sei die natürliche Ergänzung zu Schinkenröllchen, latent schwelendem Ehekrach, graumeliertem Lehrerbart, ordentlichem Tellerabwasch und anschließendem Derrick-Gucken: eben kultiviert und gut abgehangen. Wie groß war dann das Erstaunen, als die Lektüre von Sartre & Co. aufzeigte, dass Jazz in Wahrheit auf Seiten von Widerstand und Unangepasstheit zu lokalisieren wäre. Wenigstens eine Gewissheit aber blieb: Jazz ist die Verbrüderung von formaler Komplexität und virtuosem Düdeldüdeldüdeldü-Handwerk, bis zur Blasenbildung an Lippe und Fingerkuppe: alles ganz authentisch. Doch auch dieses Gesetz wurde nachhaltig zertrümmert. Namen wie Jazzmatazz oder Acidjazz erzählen vom hemmunglosen Anbandeln mit HipHop und Techno in den 90ern. Die alten tödlichen Feindschaften zwischen analoger und digitaler Musik, zwischen „Mönsch, Naturrr, Technik“ (Kraftwerk) waren begraben. Jazz stepte across noch jeder border. Und wurde so wieder hip.

Wen wundert's also, dass seit sieben Jahren zu den Tanzbällen der Urban Jazz Clique weniger die 40- als die 20- bis 25-Jährigen strömen, und das hordenartig (mal 200, mal 400, mal 600); ganz egal ob es nun Retro oder Elektro zu hören gibt, also unverfälschten Soul, Funk, Jazz, Brazil der 70er oder samtige Jazzstimmen, die luftig-leicht mit valiumberuhigten Beats aus KORGs und Rolands unterlegt sind: Jazz–n–Roll.

Über die Urban Jazz Clique wird mindestens einmal im Jahr in den Bremer Medien berichtet; denn etwa in diesem Biorhythmus legen die Jungs irgendeinen Umbruch hin. Entweder man nimmt eine Totalrenovierung des Sounds vor, oder man wird von fremden Mächten genötigt die location zu wechseln, meist wegen Lärmbeschwerden. Diese Umzugsspezialisten residierten schon in Schwankhalle, M.I.B., Weserterassen, Pumpenhaus, Römer. Aber eigentlich scheint diese stete innere wie äußere Fortbewegung Teil des Konzepts zu sein, go ahead, go ahead, was ja nicht nur vorwärts, sondern auch an der Spitze heißt. Trotzdem ist der Name „Urban Jazz“ in der Stadt schon so gut, dass sich auch Veranstaltungen ganz anderer Leute damit schmücken, etwa in der VIP-Lounge des Weserstadions.

Der brandneue Modus ab April 2000: Jeden Freitag wird ab 23 Uhr gegroovt im Rosige Zeiten (Eintritt 8/10 Mark). Und einmal im Monat kommt ein hochkarätiger DJ aus der Fremde (10/15 Mark), manchmal mit live-Musikern im Handgepäck. An den drei Schallplattenspielern wie gewohnt Sebastian Kobs, 25 Jahre. Diesmal will er Retro und Neues bunt durcheinandermischen – schließlich sind alle Stile und Epochen gleich nahe bei Gott. Schon sein Vater konnte sich in legendären Konzerten im Römer nicht immer zwischen Krautrock, Free Jazz und Funk entscheiden.

Sebastian besitzt CDs. Ungefähr zehn Stück. Die missbraucht er als Ambient Music auf der Arbeit, in der Internetagentur E-Werk, wo er zum Beispiel e-commerce-Websites programmiert. Wie alle DJ's investiert er aber lieber in Vinyl. 4000 Stück hat er zusammengefischt, aus Internet, auf Flohmärkten, von „dealern“ in der USA oder aus Amsterdam, „aus obskuren Plattensammlungen überall und nirgends“. Zum Beispiel Lancester Byard. Das ist ein alter Free Jazzer, den kein Schwein kennt. Dessen Abstecher in vergleichsweise seichten Funk kennt also erst recht kein Schwein. Deshalb gibt es die Platte nur 500 Mal, worldwide; deshalb kostet sie 400 Mark Minimum. Für Banausen ist die Scheibe strunznormaler Funk, für Kenner und Wahnsinnige aber Kaviar. „Zweimal wurde sie mir angeboten. Das erste Mal konnte ich widerstehen, das zweite Mal wurde ich schwach.“ In der sehr speziellen Jazz-Funk-Drum'n'bass-Ecke hat Sebastian wohl die feinste Sammlung zwischen Hannover und Hamburg. Was zum Beispiel zur Folge hat, dass in der kleinen Wohnung mitten im pochenden, alkoholisierten Herzen des Viertels das Bett platzschonend auf Stelzen gestellt wurde. Legt er auf, rückt er ungefähr mit einem halben Meter Platten an. Für manche Stücke geht er unter die Turntablisten und klaut von einem anderen Stück ein bisschen Beat, aber nicht zu viel, denn der Sound sollte nicht so zugekübelt sein. Vieles lässt sich drehen, so wie es ist. Auch James Last. Auch Knut Kiesewetter. „Manches von denen ist so gut. Da erkennst du sie gar nicht.“ So was wie Vorbilder sind für ihn Jazzanova, die im legendären Berliner WMF auflegen, Rheinboth, die in der Münchner Muffathalle an den Füßen kitzeln, oder Rainer Trüby, der in Freiburg „Root down“ veranstaltet. „Nein, nicht Vorbilder, sondern Gleichgesinnte.“

Die Urban Jazz Clique war es wohl, die den neuen, alt-neuen Mischsound nach Bremen lotste. Mittlerweile sind diverse DJ's in Tower und Römer infiziert, was Sebastian mal stolz, mal sauer macht. Gut findet er, dass bei Urban Jazz die Zuführung körperfremde Substanzen kaum eine Rolle spielt, im Gegensatz zu Techno-Breitseiten-Programmen im Tivoli. Man muss auch nicht unbedingt mit Schuhwerk von Base, Hemdchen von Southpole und Helly Hanson oder Mützchen von Stüssy aufkreuzen.

Für Insider, falls es solche unter uns geben sollte: Lieben, also auflegen tut Sebastian zurZeit Folgendes: New Sector Movements (The Future ain't the same), Underwolves (So blue it's black), Innerzone Orchestra (People makes the world go round), ein Jazzanova-Remix von einer Incognito-Anregung, Seiji, Anthony Nicholson. bk

7. April, ab 23  Uhr, im Rosige Zeiten mit DJ M.R.Soulpatrol. Ermäßigung gegen Vorlage des „Friendly tickets“, erhältlich via Internet: www.ujg.de

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