: Bagger dir einen
Der Triebe freier Lauf: Die Fotografin Anne-Catherine Becker-Echivard ist auf den Fisch gekommen, der irische Künstler Patrick O’Reilly wäscht seine Hände in Blut
Der vorletzte Schrei ist bei Anne-Catherine Becker-Echivard ein Quickie auf der Kofferraumhaube. Überhaupt dreht sich alles in den Fotografien der 1971 geborenen deutsch-französischen Künstlerin um das Wirrwarr menschlicher Regungen. Um die Liebe vor allem, aber auch um Einsamkeit und Suff, Sehnsüchte und Gewalt. Deshalb weiß man auch gar nicht, ob es einen mehr treffen würde, wenn auf den Bildern Menschen zu sehen wären.
Aber Becker-Echivard zeigt tote Fische – mal nackt, mal bekleidet. Sie lassen ihren Trieben freien Lauf, sind zärtlich miteinander, verletzen sich gegenseitig, führen einen Haushalt, haben Familie, bestenfalls, oder gehen saufend vor die Hunde. Nur selten, wie in der „Partnersuche“, darf der Fisch auch Fisch sein: In voller Montur mit der Flasche Wein neben sich, sitzt er an einem Teich, um sich einen Fisch zu fangen. Der Titel dagegen spielt genauso mit der unter Menschen beliebten Bagger-Nummer „Den oder die angle ich mir heute“.
Aber Becker-Echivards Fotoinszenierungen kreisen nicht allein um semantische Bedeutungen von Worten und Zeichen. Man kann in ihrer Welt der Fische lesen wie in antiken Fabeln oder Orwells „Farm der Tiere“ und weiß genau, hier geht es um die Tücken und Krücken der Lebenszusammenhänge des Homo sapiens. Es mag dem Zufall geschuldet sein, dass in den puppenstubengroßen Inszenierungen der heute 29-Jährigen keine Püppchen, sondern Fische agieren. „Ich bin am Meer aufgewachsen. Puppen habe ich nie besessen“, erzählt sie. „Ich habe immer nur einen Fisch in meiner Jackentasche gehabt.“ Jetzt ist sie nicht mehr Kind, sondern Fotografin und hat einen Fischhändler in Paris, wo sie seit drei Jahren lebt, und zwei Händler in Südfrankreich, wo sie hinfährt, um ihre Fische in Freiluft und Naturlicht unter anderem zum Kopulieren zu arrangieren. Und um das Ganze dann auf Überlebensgröße abzuziehen.
In Berlin sind Anne-Catherine Becker-Echivards Bilder zur Zeit zum ersten Mal zu sehen. Hier ist sie aufgewachsen, hier hat sie ihr Jura- und Geografiestudium abgebrochen, bevor sie nach Paris gegangen ist, um sich der Fotografie zuzuwenden. In drei Jahren hat sie dort inzwischen vier Nachwuchsfotografiepreise gewonnen.
Jetzt stellt sie mit dem irischen Bildhauer und Installationskünstler Patrick O’Reilly in Berlin aus. In der Ausstellung trifft man zuerst auf sein „Blutwaschbecken“, eine Wandinstallation, die auf den ersten Blick an ein kirchliches Weihwasserbecken erinnert. Über dem Wasserhahn zieren zusammengerollte Putten eine Nische. Wenn dann aber in regelmäßigen Abständen Blut aus dem Hahn fließt, verwandeln sie sich beim zweiten Hinblicken in abgetriebene Föten. Liebe, Glaube, Hoffnung und der Krieg zwischen Protestanten und Katholiken in Irland blitzen in fast allen Arbeiten des Künstlers auf. Auch er zeigt sie zum ersten Mal in Berlin.
Und während die Fotografin auf den Fisch gekommen zu sein scheint, bewegt sich der Ire mit seinen Bronzen in einer Welt aus Fantasiewesen mit langen Schnäbeln. Figurinen mit nicht weniger menschlichen Schwächen.
PETRA WELZEL
Galerie Kyra Maralt, Leibnizstr. 60, Charlottenburg, bis 8. 5., Di–Fr 12–19, Sa 12–16 Uhr
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