netzgeschichten: Die PREMIUM-POWER-PROFI-FIRMA
„Wir gründen eine Firma!“ Klar ist, dass selbst die größte Schnapsidee ins Netz muss – und zwar schleunigst, noch bevor die ersten Gewerbesteuern anfallen. Schließlich hat mittlerweile jeder Rhönradverein seine eigene Homepage, da muss ein junges Unternehmen erst recht dynamisch online auftreten. Also beschließen wir mehrheitlich – 2 gegen 0 Stimmen –, uns einen Namen zu machen und unverzüglich eine Domäne einzurichten. Ein Bekannter, von Beruf Webmaster – also Herr der www-Ringe –, weist uns den Weg zu zahlreichen Providern, die Webhosting anbieten. Das ist so was wie Babysitting für Internetseiten und ihre künftigen Besitzer: Adresse prüfen und sichern, Seiten einrichten, Serviceleistungen bis zum Abwinken – und Knete einstreichen.
Also muss die Kleinstfirma erst einmal getauft werden. Ein heikles Thema. Zeitlos muss der Name sein, originell und gut auszusprechen. Ich weiß, wovon ich rede. Und alle werden mich verstehen, die ebenso 20 Jahre zu spät mit einem Modenamen aus den 50ern aufgewachsen sind. Nach langem Gezeter sind wir uns einig: Brainstation wollen wir heißen. Doch der Check im Netz ergibt: „www.brainstation.de“ ist schon vergeben. Also suchen wir weiter, www.sonic.de, www.obscene.de usw. Alles schon weg, vielleicht doch „www.quickanddirty.de“, auf die Gefahr hin, dass wir damit auch Missverständnisse produzieren. Zu spät, ist bereits belegt. Wer hätte gedacht, dass es in den Weiten des Internets solche Engpässe gibt. Ein Ideenklon jagt den nächsten. Bis wir endlich das Rennen gemacht haben: „www.juniverse.de“ ist noch frei. Juniverse – eine Art Akrostichon aus unseren Vornamen, schlicht und schön.
Das Namensproblem war allerdings ein Klacks. Jetzt müssen wir den Provider unseres Herzens finden. Eine Flut von Seiten überschwemmt uns. Die autogenetischen Offerten des Internets sind erschreckend, und vor lauter Webhosting-Dschungel sieht der unbedarfte Loser-User den richtigen Anbieter nicht. Tapfer kämpfen wir uns durch Domänenvergaberichtlinien, Bestell- und Providerwechselformulare und vergleichen die Preise. An die eigenartige Marketingterminologie haben wir uns rasch gewöhnt. Geboten werden hauptsächlich Alliterationen: Premium-, und Profipakete, Konnektivitäts-Koordination sowie Support, Succes und Shop-Systems. Unterschiedliche Preis-Leistungs-Verhältnisse machen uns zu schaffen. Von 174 Mark im Jahr für einen Luxus-Onlineauftritt bis 99 Pfennig im Monat bei einer einmaligen Einrichtungsgebühr von 39 Mark für eine Digitale Visitenkarte ist alles drin.
Digitale Visitenkarte? Das ist das Netz-Nesthäkchen und bietet lediglich einen kleinen Speicherplatz bis zu 5 MB. Allerdings hat man seinen Namen sicher und kann später ohne weiteres anbauen. Entschlussfreudig buchen wir so eine Visitenkarte. Via Internet füllen wir das Bestellformular aus. Jetzt noch ein paar Tage warten. Stündlich tippen wir „www.juniverse.de“ in den Browser – und endlich erscheint: „Hier entsteht eine neue Internet-Präsenz!“ Und noch ein bisschen Schleichwerbung zum Schluss: Wir sind nun Kunde bei www.puretec.de. Nachträglich haben wir jedoch einen Anbieter entdeckt, der es noch günstiger macht: www.strato.de Mist! Im Nachhinein ist man eben immer schlauer. Schöne bauernweise Netzwelt!
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