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Arabien im Netz ohne Grenzen

Surfer im Nahen Osten und im Exil erobern über das Internet die Welt, lesen und schreiben Kritisches, sprengen Tabus und lernen ihre „Feinde“ kennen. Restriktive Regierungen versuchen erfolglos, über Zensur und Beschränkungen zu bremsen

von FLORIAN HARMS

Ein libanesischer und ein israelischer Student schimpfen gemeinsam auf die Unfähigkeit ihrer Staatschefs, Frieden zu schließen? Homosexuelle aus Jordanien, Ägypten und Marokko plaudern locker über ihre Probleme in einer Gesellschaft, die sie als krank abstempelt? Das Internet macht möglich, was in der Echtwelt undenkbar scheint: die Kommunikation zwischen Ungleichen.

Die arabische Welt belegt mit einer Million Surfern vor Afrika den vorletzten Platz im Online-Ranking der Weltregionen. Surften 1999 annähernd 11 Prozent der israelischen Bevölkerung regelmäßig im Netz, waren es im benachbarten Jordanien gerade mal 0,5 Prozent. Die Zahlen in den anderen Ländern der arabischen Welt von Mauretanien bis zum Irak lagen kaum darüber. Aber die arabische Virtual Reality holt auf. Nachdem die meisten ihrer Regierungen erst in den letzten vier Jahren den Zugang zum Internet freigegeben haben, ist unter den arabischen Usern die Begeisterung für die elektronische Vernetzung voll ausgebrochen.

Dabei gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen Anbietern und Nutzern. Während das Angebot an kommerziellen Sites förmlich explodiert, haben einfache Nutzer mit Problemen zu kämpfen, bevor sie ins Netz gehen können. Anders als in der westlichen Welt sind im Nahen Osten und in Nordafrika nicht Universitäten, Schulen und Forschungszentren die Vorreiter der Gestaltung des Internets, sondern Partnerschaften zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren. Kommerz rangiert vor Bildung. Seit zwei Jahren gibt es den Leitfaden für Websites im Nahen Osten (MiddleEastDirectory.com) mit zahlreichen Links zu wirtschaftlichen Anbietern. Eben zur Förderung ihrer Wirtschaft ermöglichen alle arabischen Staaten bis auf den Irak den Zugang zum Internet. Aus Angst vor unkontrollierbaren Datenströmen haben sich die meisten von ihnen aber diverse Beschränkungen ausgedacht.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die Interessenvertretung der arabischen Surfer übernommen und letztes Jahr einen detaillierten Bericht zur virtuellen Lage und zu den Beschränkungen in arabischen Ländern ins Netz gestellt (www.hrw.org/hrw/advocacy/internet/mena/index.htm). Mit den dort vermittelten Informationen lassen sich die Länder in drei Kategorien einteilen.

Am restriktivsten sind Staaten wie Syrien, die den Zugang zum Internet nur Ausgewählten gestatten. Damit sichern sie sich zwar die volle Kontrolle über ihre surfenden Bürger und können jede politische Kritik unterbinden. Gleichzeitig überlassen sie dadurch aber das Feld diversen Exilanteorganisationen, die von außen die Kritik ins Netz stellen und damit zugänglich machen. Und die sind im Falle Syriens und des Irak sehr aktiv und prägen so das weltweite Bild des jeweiligen Staates mit. Da müssen die nicht vernetzten Bürokraten in Bagdad tatenlos hinnehmen, dass irakische Regimekritiker in den USA auf ihrer Web site „Iraq Net“ (www.iraq.net/), ohne Zensur oder Verfolgung fürchten zu müssen, die Verbrechen Saddam Husseins auflisten. Zu den arabischen Exilsurfern kommen tausende Studenten aus Nahost und Nordafrika, die im Ausland studieren und den freien Internetzugang intensiv nutzen. Dabei setzen sie sich über alle Tabus, die ihnen in ihrer Heimat auferlegt wurden, mit einem Mausklick hinweg. Sie hinterfragen die oft dogmatische Autorität der Religionsgelehrten in ihren Herkunftsländern oder die Menschenrechtsverletzungen und chatten mit israelischen Altersgenossen. So fallen Grenzen in Köpfen. Elektronische Orientierungshilfe gibt den arabischen Surfern der Muslimische Studentenverband (www.usc.edu/dept/MSA/).

Medienforscher haben die grenzübergreifenden und interkulturellen Entfaltungsmöglichkeiten durch das Internet als „dritte Welle“ bezeichnet. In der Heftigkeit ihrer Auswirkungen mit der neolithischen und der industriellen Revolution vergleichbar, sprenge die elektronische Revolution die letzten gesellschaftlichen Barrieren – im Privaten wie in staatlichen Institutionen. Der US-amerikanische Nahostexperte Jon W. Anderson sieht eine solche Entwicklung ganz deutlich in der arabischen Welt. Durch die elektronische Vernetzung von arabischen Studenten und Exilanten rund um den Globus mit ihren Landsleuten zu Hause entstehe ein intellektueller Austausch, der die restriktiven Regime in Nahost und Nordafrika aufweiche. Das gelte für religiöse Systeme (Iran), Monarchien (Saudi-Arabien) und sozialrevolutionäre Autokratien (Syrien) gleichermaßen. Trifft Andersons These zu (im Netz unter www.usip.org/oc/vd/confpapers/polrelander.html), wird sich die arabische Welt in den nächsten Jahren rapide verändern. Ein Systemwandel in diesen Ländern ist nicht mehr undenkbar.

Eine zweite Kategorie bilden Staaten, die den Zugang zum Internet zwar zulassen, dessen Inhalte aber streng zensieren. Hierzu zählen Saudi-Arabien, Jemen und die Golfstaaten. Die Zensur beschränkt sich nicht auf pornografische und gewaltverherrlichende Sites, sondern schließt politische Inhalte, die den jeweiligen Herrschern gefährlich werden könnten, ein. Was gefährlich ist, entscheiden eigens eingerichtete staatliche Internetkomitees. Deren Arbeit war lange Zeit sehr mühsam. Tausende Sites mussten akribisch überprüft werden. Deshalb dachte sich das saudische Königshaus etwas ganz Besonderes aus und ließ für viel Geld die modernste Zensurmaschine der Welt konstruieren. Wer heute in dem islamischen Staat einen verbotenen Link anklickt, erhält den prompten Hinweis, die Site sei aufgrund ihres „unpassenden“ Inhalts vom Zentralrechner gesperrt. Damit ist Saudi-Arabien nach Einschätzung von Human Rights Watch das in der Beschränkung von Websites strikteste Regime – weltweit. Ein Paradoxon, mit dem Zensurfilter eine technische Weltneuheit zu entwickeln, um die eigenen Untertanen davon abzuhalten, moderne Technik voll auszunutzen.

Aber bei der Zensur bleibt es in den Staaten auf der arabischen Halbinsel nicht. Durch Lauschangriffe werden Internetnutzer auf ihre Gesinnung überprüft. Wer abweichend von offiziellen Dogmen seine Meinung sagt, bekommt ernste Probleme. In Bahrain saß ein Ingenieur ein Jahr lang im Gefängnis, weil er politische Informationen an Widerstandsgruppen im Ausland gemailt haben soll.

Eine dritte Gruppe bilden arabische Staaten, die den freien Zugang zum Internet durch horrende Gebühren reglementieren. So kommen nur Bessergestellte ins Netz, Armen bleibt der Wissensgewinn verwehrt. Das ist die Realität in Jordanien, Marokko und (noch) Ägypten. Die Machthaber dieser Länder versuchen, im Internet ihre ökonomischen Konzepte mit kommerziellen Leistungen sowie kulturellen und politischen Informationen zu verbinden. So entstehen halb offizielle Anbieter, deren Sponsoren islamische Banken und Handelskammern sind. Die Grenze zwischen staatlichen Institutionen und der Privatwirtschaft verschwimmt. Auf den Homepages der diplomatischen Vertretungen Ägyptens werben Firmen für ihre Produkte. Der größte kommerzielle Provider Jordaniens, arabia.on.line, wird staatlich mitfinanziert.

In den Schaltzentralen der Macht entstehen dadurch ganz neue Abhängigkeiten, aber auch neue Möglichkeiten zur Einflussnahme. An diesem Punkt erscheint die These vom Aufweichen der arabischen Regime durch das Internet sehr nahe an der Realität. Das Internet fordert bestehende politische und religiöse Autoritäten heraus und entfaltet damit ähnliche Langzeitwirkungen, wie es der millionenfache Buchdruck zu Beginn der Moderne tat. Und gleichzeitig will sich die Mehrheit der arabischen Staaten internationalen Verflechtungen der virtuellen Revolution nicht mehr verschließen. Syrische Studenten fahren zu hunderten übers Wochenende in den Libanon, um dort bei Freunden ins Netz zu gehen. Unter www.dfn.org zeigt das Digital Freedom Network alle in Algerien gesperrten Sites – jeder Algerier kann sie so trotz Zensur ansehen. In Kairo legen Schüler ihr Taschengeld zusammen, um eine Stunde im Cybercafé bezahlen zu können. Arabien geht online. Hindernisse sind da nicht viel mehr als Staubfussel auf dem Mousepad.

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