klassisch von buddha bis weimar von WIGLAF DROSTE :
Baden-Baden muss klasse sein für Leute, die sich alt fühlen: drei Stunden durch diese Enklave der Geriatrie jeden Alters gelatscht, und man denkt, man ist ein Teenie. Alles ist so stahlhart gepflegt und geputzt, dass man weiß, warum Terrorist mal ein Ausbildungsberuf war.
Das Profane schminkt sich gern heilig. Auf der Reklamewand einer Baden-Badener Tengelmann-Filiale sieht man das Bild eines kahl geschorenen Lächlers in gelber Kutte. Die Sprechblase sagt: „Viele Wege führen zur Erleuchtung. Wir führen Energiesparlampen.“ Verbalbuddhistische Ambitionen werden bevorzugt vor sich her getragen von Leuten, die etwas zu verkaufen haben, ihre tiefe Sehnsucht nach Profit aber lieber zur „Philosophie“ oder „Firmenphilosophie“ aufblasen. Möglicherweise hat sich Tengelmann auch vom Besuch des Dalai Lama inspirieren lassen; die Speisekarte im Baden-Badener Kurhaus prahlt mit Auszügen aus dem Gästebuch, das allerlei Illustriertenexistenzen vereint: den Dalai Lama und Michael Schumacher, die Kelly Family, Helmut Kohl, Tony Marshall, Ute Lemper, Birgit Schrowange, Franz Beckenbauer und Otto Waalkes, Lothar Matthäus, Justus Frantz, Václav Klaus und Dieter Thomas Heck.
Ähnliche Lasten bekommt man auch ein paar Meter weiter aufgepackt, im Frankenland, obwohl doch gerade der Franke dringend des Trostes bedürfte. Dafür hat er nichts als seine Wurst, die er „Woscht“ nennt, meist in der Formulierung „a weng Woscht“, denn a weng Woscht gibt es immer, sonst wäre der Franke am Ende. Am Eingang zum Erlangener Bahnhofsimbiss hängt ein Plakat, das auf eine Veranstaltung hinweist, die aus der spirituellen Verwüstetheit Erlangens Kapital pressen möchte: Eugen Drewermann liest aus „Jesus von Nazareth – Befreiung zum Frieden“. Zwar predigt der treuherzige Pulliträger nicht im selben Lokal, aber das „basst scho“ und „wedd scho wieder“, wie der Franke sagt. Der Franke lebt nicht, er stirbt so vor sich hin.
Der Erlangener Bahnhofsimbiss heißt „Echt Gute Wurst“. Das Wort-Lüge-Verhältnis in diesem Satz ist eins zu eins. Da hat selbst Eugen Drewermann Schwierigkeiten, mitzuhalten.
Auf dem Rückweg nach Berlin, jener „Krankheit, die zur Schrippe führt“, wie Christof Meueler bemerkt, liegt die architektonische Variante des Klassik-Radios: Weimar. Hier prahlt selbst der Bahnhofskiosk mit Schulbuchkultur. Die ganze Stadt ist museal angepinselt, und die demonstrative Beheimatung deutschen Dichtens und Denkens bringt den Koofmich erst richtig zum Vorschwein. Sogar die simple Postkarte hat den Charme von Gunstgewerbe mit Goethe & Co. In Weimar ist alles Klassik – oder „Classic“, wie Apollinaris. In der Nachtkaschemme aber findet man die Weimarer Wahrheit. Die Weiterentwicklung der trittfesten Hollandtomate ist die Vollgummifrikadelle. Dazu wird Kartoffelsalat gereicht, der aus gutem Grund „Kart.Sal.“ heißt. Scheiblettierte Presspappe wurde ins Säurebad getaucht, in Wandfarbe gewälzt und entwickelt nahezu englische Magenbeißerqualität. Hoch toxisch im Anschmecken und im Abgang brutal ist die Weimarer Gaumenschraube. Hier hülfe allenfalls ein 10-Liter-Kanister Underberg. Wer aber trönke den aus? Goethe und Schiller, die Classic-Biker?
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