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Testwahl für Reformen

Die Veränderungen im Nachbarland Kroatien sind ein Zeichen der Hoffnung auch für Bosnien

aus SarajevoERICH RATHFELDER

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geht die Sache frontal an: „Haben Sie ein Problem? Dann wählen Sie!“, fordern Plakate in ganz Bosnien-Herzegowina. Probleme haben die allermeisten in diesem zweigeteilten Land, in dem drei Nationalitäten leben und letztlich der „Hohe Repräsentant“ der Internationalen Gemeinschaft, Wolfgang Petritsch, regiert.

Morgen können 2,46 Milllionen Wahlberechtigte die Mitglieder von 146 Gemeindeparlamenten bestimmen. Und da die Wahlen in einem Staat stattfinden, in dem jahrelanger Krieg tobte, in dem UN-Polizisten auf die Jagd nach Kriegsverbrechern gehen, und dessen endgültige Verfassung immer noch unklar ist, geht es dabei nicht nur um Straßenreinigung, effektive Verwaltung und öffentliche Versorgung. Die Abstimmung ist auch ein Test für die im Herbst geplanten Parlamentswahlen.

Ein zusätzliches Moment der Spannung bringt die Entwicklung im Nachbarland Kroatien. Hier wurde vor drei Monaten in Nachfolge des nationalistischen Franjo Tudjman der Linksdemokrat Stipe Mesić zum Präsidenten gewählt. Am 23. März besuchte er Sarajevo – und wurde umjubelt. Mesić ließ keinen Zweifel daran, dass er eine Politik der Integration, nicht der Teilung verfolgen werde. Durch seine Wahl wurden auch die nicht nationalistischen, demokratischen Kräfte in Bosnien gestärkt, wie Umfragen zeigen.

Nur in der Republika Srpska gewinnen die Extremisten, die Anhänger des Radovan Karadžić, nach letzten Erhebungen wieder an Einfluss (siehe Kasten). In den anderen Teilstaaten, wo bisher die Mehrheit der Wähler ebenfalls auf die Nationalisten gesetzt hat, ist ein Stimmungsumschwung zu beobachten. In den muslimisch kontrollierten Gebieten Zentralbosniens samt Sarajevo wird ein Linksruck erwartet. Hier hatte die Partei des Alija Izetbegović, die SDA, die „Partei der Demokratischen Aktion“, am meisten Einfluss. Die SDA fühlt sich als muslimische Nationalpartei und machte in letzter Zeit durch Korruptionsskandale von sich reden.

Die bosnischen Sozialdemokraten unter dem jungen Hochschuldozenten Zlatko Lagumdzija wollen sogar die SDA-Hochburg Sarajevo kippen – in Großstädten wie Tuzla und Zenica können sie mit Siegen rechnen. Auch der ehemalige Premier Haris Silajdžić, Chef der „Partei für Bosnien“, möchte aus dem Reservoir der Izetbegović-Partei Stimmen gewinnen.

In den kroatischen Gebieten hat ein Wandel bereits eingesetzt. Der bosnische Ableger der Tudjman-Partei HDZ, die sich als Nationalpartei der Kroaten fühlt, ist angeschlagen. Die finanzielle Unterstützung aus Zagreb bleibt aus, die Machtbasis bröckelt, zumal die katholische Kirche wie die neue Regierung in Zagreb die kroatisch-bosnischen Oppositionsparteien unterstützt.

Die Kommunalwahlen sind ein Knoten im komplizierten politischen Gewebe des Landes. Bosnien-Herzegowina ist nach dem Abkommen von Dayton im November 1995 ein gemeinsamer Staat dreier konstituierender Nationen, der Bosnjaken (Muslime), Serben und Kroaten. Der Gesamtstaat ist in zwei Teilstaaten untergliedert: der Republika Srpska (49 Prozent des Staatsgebietes) und der kroatisch-bosniakischen Föderation (51 Prozent, die Grenzlinien entsprechen in etwa den Frontlinien des Krieges). Ein kroatischer Teilstaat, die Republik Herzeg-Bosna, wurde im Abkommen nicht anerkannt, besteht aber in der Praxis.

An der Spitze des Staates steht ein Präsidium aus drei Mitgliedern, je eines aus jeder Volksgruppe, das nach dem ethnischen Prinzip gewählt wird. Diese drei Repräsentanten lösen sich in der Position des Vorsitzenden des Präsidiums ab. Das Parlament des Gesamtstaates wird von der Gesamtbevölkerung gewählt.

In beiden so genannten Entitäten gibt es gewählte Parlamente. Die Republika Srpska ist zentralistisch organisiert, die bosniakisch-kroatische Föderation dagegen ist in Kantone unterteilt. Entscheidungskompetenz kommt den beiden Teilrepubliken zu, die über eigene Polizeikräfte und Armeen verfügen. Die Macht des gesamtbosnischen Parlaments dagegen ist gering. Die internationalen Institutionen, die im Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft (OHR) repräsentiert sind, können in das Machtgefüge eingreifen. Sie können Gesetze in beiden Entitäten verhindern, wenn sie sich nicht mit dem internationalen Recht vereinbaren lassen. Der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch kann Dekrete erlassen und mit den SFOR-Truppen und der internationalen Polizei Exekutivgewalt ausüben.

Haris Silajdžić und andere Kritiker dieses Kompetenzwirrwarrs wollen die Macht des gemeinsamen Parlamentes stärken und damit jene der Zentralregierung (siehe Interview). Gegen eine entsprechende Revision des Dayton-Abkommens wenden sich insbesondere die USA. Angesichts dieses Kräfteverhältnisses warnen Medien in Sarajevo vor allzu großer Hoffnung, die Verhältnisse könnten sich nach der Wahl schnell ändern. Manche befürchten auch, die Abstimmungen kämen zu früh, um eine so deutliche politische Kräfteverschiebung zu ermöglichen, wie sie Reformer wünschen.

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