: Alt, aber nicht schlecht
Vielleicht brauchen wir gerade heutzutage verstaubte Nischen. Ein Editorial ■ Von Kaija Kutter
Die Universitäten müssten moderner werden, kürzere Studiengänge anbieten und sich vom alten Humboldtschen Bildungsideal verabschieden. Die Studenten müssten schneller studieren und früher ins Berufsleben einsteigen. Diesen Tenor hat die offizielle bildungspolitische Diskussion seit zehn Jahren.
Es folgten Taten. Hamburg führt seit Mitte der 90er Jahre schrittweise den sogenannten Bachelor-Abschluss für Kurzzeit- sowie eine Zwangsberatung für Langzeitstudierende ein. Baden-Württemberg verlangt pro Semester 1000 Mark Gebühr von Langzeitstudenten. Andere Bundesländer würden diesem Beispiel gern folgen.
Glaubt man den Experten der Hamburger Wissenschaftsbehörde, so steht die Kultusministerkonferenz kurz davor, sich über ein neues „Studienkontenmodell“ zu einigen. Ein Modell, das den Studierenden zwar große Freiheit bei der Organisation ihres Studiums lässt, gleichzeitig aber die absolute Studiendauer über das Nachzählen der Semesterwochenstunden begrenzt.
Wir stellen dieses von Wissenschaftssenatorin Krista Sager befürwortete Modell in diesem Heft vor. Nehmen uns aber gleichzeitig die Freiheit, ein wenig altmodisch zu sein. Wir fragen: was ist eigentlich das „Humboldtsche Bildungsideal“, das heute nichts mehr taugen soll, und wer war Humboldt? Wir porträtieren den mit 65 Semes-tern ältesten Studenten der Stadt und andere „Studi-Typen“. Und wir berichten über die Streichung einer Professur für Geschichte und weitere Kürzungen an der Universität.
Humboldt hin, Bildung her, studieren kann natürlich nur, wer das nötige Kleingeld dafür hat. Die Zahl der Bafög-Empfänger unter den rund 63.000 Hamburger Studierenden hat 1999 einen Tiefstand von 11,8 Prozent erreicht. Drei von vier Hamburger Studenten sind gezwungen zu jobben. Sie arbeiten so viel, dass sie per Definition der Kultusminister nicht mehr als „Vollzeitstudenten“ zählen.
Die Frage ist, fehlt ihnen wirklich ein „Anreizsystem“ mit „Bonuspunkten“, um das Studium schneller zu beenden? Oder nicht vielmehr eine vernünftige Bafög-Finanzierung? Wieder so eine altmodische Forderung. Genau wie die der bedarfsdeckenden Hochschulfinanzierung, die der Asta erhebt. Aber altmodisch muss ja nicht schlecht sein. In Zeiten rasanten technischen Wandels ist es vielleicht gerade falsch, alles in vorauseilendem Gehorsam durchzuamerikanisieren. Vielleicht brauchen wir gerade heutzutage verstaubte Nischen, in denen unterbeschäftigte Forscher zusammen mit trägen Langzeitstudenten auf die Idee kommen, zu untersuchen, was das Internet eigentlich mit uns Menschen macht?
Natürlich darf man nicht vergessen: Studieren bleibt ein Privileg, das vielen verwehrt wird. Manche von ihnen arbeiten in den Läden rund um den Campus und sorgen dafür, dass das Univiertel unverwechselbar und lebendig ist. taz-Fotografin Helga Bahmer streifte mit ihrer Kamera durch die Geschäfte und hat Menschen und Schaufenster fotografiert.
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