: Falsche Türken, echte Libanesen
■ Kurdische Familie aus dem Libanon soll in die Türkei abgeschoben werden / Ihr Fehler: Sie sagten erst bei einem zweiten Asylantrag, dass sie in Wirklichkeit Libanesen sind
Nezir El-Zein hat Post von der Ausländerbehörde bekommen: Eine Ausweisungsverfügung. Heute muss er die Bundesrepublik verlassen – zusammen mit seiner Frau Nebiha und sieben gemeinsamen Kindern. Familie E. gehört zu jener Gruppe von 500 Kurden, denen Innensenator Bernt Schulte (CDU) den Stempel „falsche Libanesen“ aufgedrückt hat, weil er sie beschuldigt, tatsächlich türkische Staatsbürger zu sein. Die Wirklichkeit sieht anders aus:
Der Großvater von Nezir El-Zein gehörte zu einer arabischsprachigen kurdischen Minderheit in Mardin, nahe der syrischen Grenze. Nach der Zerschlagung des osmanischen Reichs wurde er zwangstürkisiert – er musste sich einen türkischen Namen aussuchen und hieß fortan Çulum. In den 40-er Jahren floh Nezir El-Zeins Vater vor der zunehmenden Kurdenverfolgung über Syrien nach Beirut. Die Familie etablierte sich im Gemüsehandel und Nezir wurde in der libanesischen Hauptstadt geboren. Eine Geburtsurkunde erhielt er allerdings nicht, da die Familie als Staatenlose im Libanon lebte. 1972 heiratete er Nebiha, ebenfalls eine Kurdin. Während des wenig später beginnenden Bürgerkriegs im Libanon bekam das Paar eine Reihe von Kindern. Nach dem israelischen Einmarsch spitzte sich die Lage so zu, dass die Familie sich 1980 zur Flucht entschloss: Genau andersherum als der Vater flohen die El-Zeins ins türkische Kurdistan – illegal und ohne dort registriert zu werden. Doch auch hier, mitten im Notstandsgebiet, herrschte Krieg. Sobald sich die Lage im Libanon leicht zu entspannen schien, kehrten sie 1982 bei Nacht und Nebel nach Beirut zurück. Problem: 1988 eskalierte der Konflikt erneut. „Christliche Drusen-Milizen zwangen die Leute in den Straßen auf die Leichen ihrer Angehörigen zu trampeln“, erinnert sich Nezir El-Zein. Aber die andere Seite war nicht besser: Die schiitische Hizbollah wollte ihn in ihre Reihen zwingen. Er machte sich mit seiner Familie erneut auf die Flucht in die Heimat des Großvaters. Dort gelang es El-Zein, mit Bestechungsgeld türkische Pässe auf den Namen des Großvaters zu besorgen. Nach wenigen Wochen reisten sie als Familie Çulum weiter nach Frankfurt. Dort erlebten sie, wie viele Flüchtlinge innerhalb weniger Tage zurückgeschoben wurden. Aus Angst, es könne ihnen ähnlich ergehen, so El-Zein heute, blieben sie bei der Geschichte mit der türkischen Identität und beantragten als Türken Asyl – ein verhängnisvoller Fehler.
In Bremen beantragten sie dann unter ihrem wirklichen Namen El-Zein erneut Asyl. Der Antrag wurde zwar abgelehnt, aber als Staatenlose waren sie nicht abschiebbar. Sie erhielten deutsche Passersatzpapiere und eine Aufenthaltsbefugnis. Nezir El-Zein versuchte, seine Familie zusammenzuhalten. Ein älterer Sohn wurde von ihm aus dem Familienverband ausgeschlossen, nachdem er straffällig wurde. Im Moment macht der Familie ein 14-Jähriger Sorgen, der bereits verschiedentlich der Polizei aufgefallen ist. Mit den anderen hatten die Eltern mehr Glück: Sie gehen zur Schule, ein kleines Mädchen findet die Schule sogar „viel spannender als die Osterferien.“ Zwei von den jungen Männern haben sogar Arbeit gefunden – trotz Arbeitserlaubnis „zweiter Klasse“. Der eine ist allerdings mangels Aufenthaltsbefugnis schon wieder arbeitslos.
Als die Behörden die doppelte Identität der Familie aufgedeckten, wurde nämlich ihre Aufenthaltsbefugnis widerrufen. Anwältin Christina Bremme hat zwar Widerspruch eingelegt und aufschiebende Wirkung beantragt, aber solange darüber nicht entschieden ist, könnte die Familie theoretisch ab heute abgeschoben werden. Für die Eltern würde das jede Rückkehr ausschließen – selbst wenn ihre erwachsenen Kinder hier bleiben könnten. Auch ohne Gerichtsverfahren konnten man sie ausweisen – wegen „Urkundenfälschung“, wann immer sie mit ihrem richtigen, aber für die Behörden falschen Namen „El-Zein“ unterschrieben haben. Wegen des schwerer wiegenden Betrugsvorwurfes wird wegen offenkundiger Aussichtlosigkeit dagegen schon lange nicht mehr ermittelt. Dass die El-Zeins in Wirklichkeit aus Beirut stammen und das auch mit Papieren belegt haben, speilt keine Rolle mehr. not
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen