: Polizeiärzte unter Verdacht
Mitarbeiterin des Polizeiärztlichen Dienstes soll Unterlagen über bosnische Flüchtlinge weitergegeben haben. Staatsanwalt ermittelt wegen Verstoßes gegen ärztliche Schweigepflicht
von SABINE AM ORDE
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Mitarbeiterinnen des Polizeiärztlichen Dienstes (PÄD). Sie stehen in dem Verdacht, gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen zu haben. Die eine Mitarbeiterin soll Namen und Krankheitsbilder von bosnischen Kriegsflüchtlingen, die sie untersucht hatte, an die Polizei weitergegeben haben. Die zweite, ihre Vorgesetzte, soll das geduldet haben. Das bestätigte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner.
Hintergrund ist ein Verfahren gegen zwei niedergelassene Ärzte, die zahlreichen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen eine Traumatisierung attestiert und ihnen damit ein Bleiberecht in Berlin ermöglicht hatten.
Wie bereits berichtet, zweifelt die Innenverwaltung die Gutachten von niedergelassenen Ärzten an. Deshalb lässt sie alle bosnischen Flüchtlinge, die Atteste über ihre Traumatisierung vorgelegt haben und deshalb nicht abgeschoben werden können, vom PÄD zweitbegutachten.
Wie erst jetzt bekannt wurde, geht die Innenverwaltung aber auch rechtlich gegen zwei der niedergelassenen Ärzte vor. Gegen das Ehepaar läuft seit August letzten Jahres ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Ausländergesetz. Die Ärzte sollen mit falschen Angaben den Flüchtlinge geholfen haben, sich eine Duldung zu erschleichen.
Im Zuge dieser Ermittlungen sprach die Polizei auch mit der Psychologin des PÄD, die Zweitgutachten zu den Attesten der beiden niedergelassenen Ärzte erstellt hat. Die Psychologin soll, obwohl die Polizei sie auf ihre ärztliche Schweigepflicht aufmerksam gemacht hat, Namenslisten von Betroffenen sowie ihre Aufzeichnungen über die Untersuchungen an die Polizei weitergegeben haben. Deshalb nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die beiden PÄD-Mitarbeiterinnen auf. Das erfuhr die taz aus gut unterrichteten Kreisen.
Die für die Polzei zuständige Innenverwaltung wollte sich wegen der laufenden Ermittlungen nicht zum Thema äußeren.
Rechtsanwälte befürchten nun, dass auch gegen die Flüchtlinge Ermittlungsverfahren eingeleitet werden – ebenfalls wegen des Verstoßes gegen das Ausländergesetz. Der mögliche Vorwurf: Die Flüchtlinge sollen sich wissentlich mit falschen Gutachten ein Bleiberecht erschlichen haben. Wie die taz erfuhr, gibt es solche Überlegungen bereits. Man habe darauf bislang jedoch verzichtet, um zunächst das Ermittlungsverfahren gegen die beiden niedergelassenen Ärzte zu Ende zu bringen.
Ermittlungen gegen die Flüchtlinge dürften aber auch zu scharfen Protesten führen. Denn der PÄD seinerseits steht in dem Verdacht, Gefälligkeitsgutachten im Sinne des Innensenators auszustellen und so die Abschiebung von Flüchtlingen zu ermöglichen.
Diesen Vorwurf, den Ärzte, Psychologen und Flüchtlingsberater seit langem erheben, hat das Behandlungszentrum für Folteropfer jüngst mit einer Studie untermauert. Der Vergleich zwischen den Gutachten des Polizeiärztlichen Dienstes und der niedergelassenen Ärzte und Psychologen kommt zu dem Schluss, dass die Polizeiärzte „ihrem diagnostischen Auftrag nicht gerecht werden“. Sie seien fachlich inkompetent, so das Fazit der Studie.
Ähnliche Kritik kommt auch vom Verwaltungsgericht. Norbert Kunath, der als Richter mit Widersprüchen von Flüchtlingen gegen die Polizeiatteste zu tun hat, hat inzwischen in 70 Verfahren Gutachten bei elf gerichtlichen Sachverständigen in Auftrag gegeben. 27 dieser Gutachten liegen bereits vor. Sie alle, so Kunath, geben den niedergelassenen Ärzten Recht.
In Berlin gibt es derzeit noch 800 bosnische Kriegsflüchtlinge, die aufgrund ihrer Traumatisierung nicht abgeschoben werden dürfen. 300 hat der PÄD bislang zur Zwangsuntersuchung beordert. 20 der Flüchtlinge, die danach nicht mehr als psychisch krank galten, wurden bereits abgeschoben.
Wie viele Atteste die beiden niedergelassenen Ärzte genau ausgestellt haben, war nicht zu erfahren. Klar aber ist, dass die Praxis des Ehepaars aufgrund seiner serbokroatischen Sprachkenntnisse eine der Hauptanlaufstellen für bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge in der Stadt ist.
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