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Verunsicherung im Kreml

Der Beschluss des Europarates, Russlands Stimmrecht zu suspendieren und einen Ausschluss zu beantragen, löst in Moskau heftige Reaktionen aus. Gemäßigte Kräfte warnen vor Isolation

aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH

Das Gesicht wahren, heißt es nun in Moskau. Nach der Entscheidung der Abgeordneten des Europarates, wegen eklatanter Menschenrechtsverletzungen der Armee in Tschetschenien der russischen Delegation das Stimmrecht zu entziehen, herrscht in Moskau Verunsicherung. Mahnungen hatte man erwartet. Indes nicht ein so deutliches Votum der Delegierten, die damit die Aufnahme eines Ausschlussverfahrens Russlands aus dem Europarat einleiteten.

Beobachter des Kreml hatten mit einer sanfteren Gangart gerechnet. Sie vermuteten, die politische Kommission des Europaparlamentes würde die entscheidende Frage auf die Sitzung des Ministerrates der EU Ende Mai in Lissabon vertagen. Erfahrungsgemäß lassen Regierungsvertreter und Diplomaten auch gegenüber der abgetakelten Supermacht mehr Rücksicht walten. Das Kalkül Moskaus ist nicht aufgegangen. Das russische Außenministerium brauchte ungewöhnlich lange, bis es gestern mit einer Stellungnahme herausrückte.

Außenminister Igor Iwanow warnte, die Entscheidung werde „sicherlich den Dialog zwischen Russland und der Versammlung negativ beeinträchtigen“. Das Europaparlament, bedauerte Iwanow, habe sich „trotz der präzedenzlosen Transparenz allein von Informationen tschetschenischer Terroristen beeinflussen“ lassen. Russland behält sich vor, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die „hart aber ausgewogen“ sein sollen. Worauf das Außenministerium damit abhebt, blieb unklar. Stattdessen betonte Moskau, von seinem Vorhaben, in Tschetschenien klar Schiff zu schaffen, nicht abzurücken.

Die russische Delegation hatte am Donnerstag aus Protest den Sitzungssaal verlassen. Nur Menschenrechtler Sergej Kowaljow und ein Parlamentarier der demokratischen Partei Jabloko blieben zurück. Kowaljow hatte sich vor der Abstimmung mit den Worten an die Versammlung gewandt: „Ich fordere härteste Sanktionen gegen mein Land.“ Im Vorfeld hatte der Journalist Andrej Babizki dem Parlament Rede und Antwort gestanden. Der Korrespondent des US-Senders Radio Liberty war mehrere Wochen vom russischen Geheimdienst in Tschetschenien festgesetzt worden.

Die Äußerung Igor Iwanows, die russische Seite habe gegenüber Vertretern der internationalen Gemeinschaft „präzedenzlose Transparenz“ walten lassen, muss man schon als bodenlosen Zynismus begreifen. Erst letzte Woche zeigte Moskau der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, die den Kaukasus bereiste, auf höchst undiplomatische Weise, wie wenig ihre Präsenz erwünscht sei. Damit bewies der Kreml erneut, dass er den Organen der internationalen Gemeinschaft Bedeutung nur beimisst, wenn sich mit ihnen Machtpolitik betreiben lässt. Robinsons alarmierender Bericht diese Woche in Genf hat die Stimmung in Straßburg sicher noch angeheizt.

Die staatstreuen TV-Anstalten bemühten sich, das Straßburger Ereignis herunterzuspielen. An Servilität kaum zu übertreffende Moderatoren suggerierten, selbst ein Ausschluss aus dem Europarat hätte für Russland und seine Bürger keine Folgen. Populistisch drapiert, klang das so: Der Europarat, ein Gremium, das sich mit Nebensächlichkeiten befasst wie Menschenrechten. Wenn das Moderatoren äußern, die ihre Karriere der Lockerung der kommunistischen Zensur unter Michail Gorbatschow verdanken, stimmt das nachdenklich.

Der Ministerrat wird Moskau im Mai nicht aus dem Europarat ausschließen. Insofern kommt dem Votum rein symbolische Bedeutung zu. Gleichwohl nicht nur. Der Prestigeverlust für Moskau ist gewaltig. Präsident Wladimir Putin, dessen Popularität allein auf dem brutalen Krieg im Kaukasus beruht, hat zumindest aus Europa ein deutliches Signal erhalten. Die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Russland wegen Menschenrechtsverletzungen zu klagen, bringt den tönernen Riesen zusätzlich in Verlegenheit. Nach Serbien läuft nun auch Russland Gefahr, mit dem Stigma eines Aussätzigen behaftet zu sein. Die Frage, gehört Russland zu Europa, wäre beantwortet.

Unterdessen warnen gemäßigtere Vertreter Russlands, wie der tschuwaschische Präsident Nikolaj Fjodorow, Moskau durch scharfe Sanktionen nicht in die Isolation zu treiben. Ein Ausschluss würde Europa jegliche Möglichkeit nehmen, auf den Kreml einzuwirken. Das Beispiel Jugoslawiens wirft finstere Schatten voraus. Bei nüchterner Betrachtung dürfte der Kreml, wenn nicht in Tschetschenien, so doch in Europa, einen Fehler begangen haben. Moskau hat es versäumt, Europa die Gewissheit zu vermitteln, dass ihm an der Zugehörigkeit genauso viel liegt wie an der Klärung des tschetschenischen Chaos.

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