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Bisky macht es kurz und schmerzlos

Das Erwartete ist eingetreten: Lothar Bisky hat seinen Abschied vom PDS-Parteivorsitz angekündigt. Das trägt die Partei mit großer Gelassenheit

aus Münster CHRISTIAN FÜLLER und MARCUS TERMEER

Für einen Westgenossen ist dieser Kai Claaßen doch ausgesprochen pragmatisch. Was war nicht vor dem ersten Parteitag der PDS im Westen der Republik auf die tiefen Gräben verwiesen worden, die sich zwischen den demokratischen Sozialisten aus dem Osten und den unnachgiebigen, orthodoxen Wessis auftun. Und nun nimmt der 32 Jahre alte PDSler aus Münster den Streit um ein neues PDS-Programm ganz locker. „Wenn es Streit gibt, dann findet man halt eine Formulierung, mit der beide Seiten leben können“, sagt Claaßen.

500 Delegierte verhandeln seit gestern auf der dritten Tagung des sechsten Parteitages, über ein neues Programm; darüber, ob die PDS lieber eine Reformpartei sein oder wieder eine der Revolution werden soll.

„Ich weiß, dass meine Zeit als Vorsitzender zu Ende geht“

Auf so einen leichtgängigen Formelkompromiss wie Claaßen würde sich Lothar Bisky nicht zurückziehen können. Bisky, seit 1993 PDS-Parteichef, hatte vor Wochen schon in einem Gespräch mit der taz angekündigt, nicht mehr die „finale Mülltonne“ seiner Parteigenossen sein zu wollen.

Dann hatte er die endgültige Entscheidung auf den Münsteraner Parteitag verschoben – er wolle es den Delegierten selbst sagen, wie er es mit dem Vorsitz halte.

Bisky macht es kurz und schmerzlos: „Ich wusste und weiß, dass meine Zeit als Parteivorsitzender zu Ende geht“, erklärte der 58 Jahre alte Politiker schnörkellos. Beim nächsten, beim siebten Parteitag müsse sich die Partei eine/n neue/n ChefIn suchen. In der Münsterlandhalle regt das niemanden auf. Musikproduzent Dieter Dehm, der vor zwei Jahren wie ein Shooting-Star in den PDS-Vorstand gewählt wurde, klatscht ein bisschen fester und lauter als sonst.

An der Art, wie Bisky seine Gründe für sein „Ich trete nicht mehr an“ herunterleiert – mehr Zeit für die Programmkommission und Brandenburg – konnte jeder erkennen, wie satt Bisky den Job hat.

Das ist auch der wahre Grund seines Rückzugs: Ihm ist die Parteiarbeit zu trocken, zu humorlos. „Ich habe das dringende Bedürfnis, mich stärker um die politische Kultur der PDS zu kümmern“, sagt er und meint wohl eher: um seine ganz persönliche Lebenskultur. Ihm tue weh, wie der Humor auf den Hund komme. Jede „ideologische Altstoffsammlung“ in der Partei, zielt er auf die Kommunistische Plattform, wird mit meinem Widerstand rechnen müssen“, sagt Bisky – und dann erklärt er, dass „dies ein Spaß sein sollte“. Der Abschied des „guten Menschen der PDS“ war kühl und glatt.

Die bunt behaarte Angela Marquardt erklärt nüchtern, „dass die Amtszeitbegrenzung ihren Sinn hat“. Punkt. Petra Bläss, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, findet den Abschied schlicht angemessen: „Für eine bestimmte Zeit war eine integrierende Figur wie Lothar Bisky wichtig an der Parteispitze. Aber inzwischen ist die Partei so emanzipiert, dass sie das nicht in eine Existenzfrage stürzt.“

Nur an einer Stelle von Biskys Rede kommt so etwas wie Stimmung in den Saal: Als Bisky versucht, sein programmatisches und politisches Erbe als Parteivorsitzender zu erläutern. „Wir müssen jetzt den entscheidenden Fehler überwinden: Wir müssen die Schlussfolgerungen aus der Kritik des Kapitalismus und die aus der Kritik des Realsozialismus zusammenführen.“

Der Konflikt zwischen Traditionalisten und Reformern, zwischen Ost- und West-PDSlern müsse überwunden werden: „Die PDS ist Teil der Gesellschaft der Bundesrepublik ... Sie kämpft nicht irgendwo und in ferner Zukunft, sondern hier und heute um Verbesserungen im Alltag der Menschen.“

Bloß keine „gallebitteren ideologischen Verdächtigungen“!

Da zeigen ein paar ganz junge Genossen aus Hessen und Hamburg harte, unnachgiebige Gesichter. „Der Gregor“, sagen sie mit Blick auf Gregor Gysi, den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, „der Gregor spricht immer von Fremdkörpern.“

Als hätte Bisky sie als Antwort auf die steinernen Mienen der jungen Westgenossen bereit gehalten, kommt er zu dieser Passage seiner Rede: „Es war und ist ein Irrtum anzunehmen, mit gallebitteren ideologischen Verdächtigungen könne man junge Menschen für uns gewinnen.“

Aber so schlimm ist es gar nicht mehr. Die PDS hat in Münster einen Stadtverordneten, Joachim Hetscher. Der sagt so fröhlich wie sein Münsteraner Genosse Claaßen: „Es geht hier darum, eine moderne sozialistische Position zu entwickeln. Die muss nicht linksradikal im Sinne von Revoluzzertum sein.“ Hetscher war auch schon mal anders, damals, als Mitglied der DKP, zu den Zeiten der alten Bundesrepublik.

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