piwik no script img

Sargdeckel der Biografie

Die Euroorgie als Beziehungskrampf: Das Deutsche Historische Museum zeigt Tomi Ungerers Kommentare einer deutsch-französischen Lebensgeschichte

„Achtung! die Deutschen kommen“ heißt ein Bild, das einen behäbigen Gartenzwerk mit Marienkäfer zeigt. „Herr und Frau Müller am Strand“ erscheinen als hüllenlose Sonnenanbeter. Die mit mondänem Badeanzug ausstaffierte Dame in „Sylt, Sylt“ weist eindeutig äffische Vorfahren auf. Und der auf einem Bierhumpen sitzende bloße Athlet ist allzeit „einsatzbereit“: Sein Haupt verschwindet unter einem mächtigen schwarzen Stiefel.

Während das Bild der Deutschen zwischen Gemütlichkeit, „Pig Heil!“ und Fressgelage schwankt, werden die Franzosen an ihrem Wahlspruch „Liberté“, Egalité, Fraternité“ gemessen und bloßgestellt. Da treibt die nackte Marianne mit den Revolutionsopfern ein blutiges artistisches „Kopfspiel“, erscheint einem Enthaupteten in der Guillotine zum gruseligen „Tête à tête“ oder lässt sich von Napoleon von hinten nehmen: „La conception de l’empire“. Kleine Hakenkreuzchen werden weggekehrt: „Die Kollaboration unter den Teppich“.

Wer solch ein schwarzhumoriges Spiel mit beiden Völkern treibt, kann es sich leisten. Denn er gehört keinem von ihnen an und doch beiden. Er ist Elsässer und heißt Tomi Ungerer. Der 1931 geborene Sohn einer Uhrenmacherfamilie wächst in Frankreich auf, gerät während des Zweiten Weltkriegs unter deutsche Besatzung und wird nach 1945 wieder Franzose, wenn auch ein enttäuschter: Elsässer galten oft als sales boches, als schmutzige Deutsche. So meint er denn auch: „Ich habe meine Heimat, kein Vaterland.“ Nach kurzem Studium arbeitet er als Schaufensterdekorateur und Werbezeichner, geht in die USA und wird bald gefeierter Cartoonist und Illustrator. Heute lebt er wieder in Straßburg, seiner Geburtsstadt, der er schon tausende von Zeichnungen und seine Spielzeugsammlung vermacht hat. Nächstes Jahr wird dort sein eigenes Museum eröffnet.

Vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat nun das Deutsche Historische Museum die Ausstellung „Zwischen Marianne und Germania“ übernommen, die in rund 250 Arbeiten Ungerers Geschichte(n) vorführt. Als Prolog dient „Kind und Krieg“: Schüler Ungerer und seine spöttischen Bildkommentare zur Naziherrschaft. „Am Anfang war das Ende“ heißt das nächste Kapitel – mit „Amnesie International (Gehirnwäsche)“ sarkastisch zugespitzt. Zwischen „Les allemands“ und „Marianne“ liegt die Station „Frankreich und Deutschland“, bei der Ungerer Marianne und Germania einen flotten Dreivierteltakt hinlegen lässt. Das Elsass („wie eine Toilette, immer besetzt“) zeigt er als „Loch zwischen Frankreich und Deutschland“, von beiden Seiten durch eine Drehtür lustvoll beäugt.

Sechs echte, gleichwohl witzig-vertrackte Türen hat Ungerer eigens für die Ausstellung entworfen: einen „Trennparcours“, von der „Sargdeckeltür“ bis zur „Europäischen Tür“ mit Griffen aus Nägeln oder Kaffeemühlenkurbeln. Zuletzt taucht „Europa“ als Hoffnung auf, auch wenn Brüsseler Bürokraten wie Roboter marschieren, und eine „Euroorgie“ eher verkampft denn lustvoll wirkt.

Ungerers Sicht der Welt ist deftig und düster, melancholisch und unversöhnlich, voll grotesker Komik und kindlicher Fantasie. Seine Art, mit Stift, Pinsel und Farbe zu zeichnen, ist malerisch-plakativ, kontrastreich. Orientiert an Vorbildern von Honoré Daumier bis Saul Steinberg, hat Ungerer einen durchaus wandlungsfähigen Stil gefunden – schrecklich und amüsant.

MICHAEL NUNGESSER

Bis 13. 6., Do.–Di. 10–13 Uhr, Deutsches Historisches Museum im Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3. Katalog (im Prestel Verlag) 29,80 DM, im Buchhandel 39,80 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen