piwik no script img

Ein schwerer Schmock für alle

Die PDS, Stützstrumpf und Heulschulter der Entrechteten, ohne Gregor Gysi?

Was ist eigentlich passiert? Ein anwaltsglatter Mann mit Glatze, sehr medienkompatibel und wattiert, hat angekündigt, demnächst seinen Posten zu räumen. Absichtserklärungen von Juristen soll man mit Skepsis begegnen; das gilt besonders dann, wenn sie ihr Heil in der Politik suchen. Dennoch schreit es aus dem medialen Mustopf unisono: Gysi geht – Krise bei der PDS!

Mehr als zehn Jahre lang war Gregor Gysi das Gesicht und der Mund der PDS, also quasi Schild und Schwert seiner Partei. Vielleicht will der kleine Mann mit dem großen Ehrgeiz in Zukunft ja wirklich etwas anderes tun. In Talkshows und Illustrierten über Schlipse reden und darüber, was für ein charmebolziger Frauentyp man doch sei, kann einen Mann möglicherweise doch stärker strapzieren, als man sich das vorzustellen vermag.

Da Gysi der Sprache weniger ohnmächtig ist als das Gros seiner Politikerkollegen und ihrer journalistischen Entourage, heißt man ihn einen brillanten Rhetoriker. Gysi glänzt, denn er ist lackiert. Er stammelt von „Aha-Effekten“ und gilt für beredt. Ein ostdeutscher Verlag sammelt die Brosamen auf und vermarktet die kabarettreifsten Passagen als „Gysis freche Sprüche“. In seinem eigenen Verein hat er ohnehin leichtes Spiel. Die PDS, Partei des Selbstmitleids und Partei der Spitzel, ist das ideale Gysi-Trampolin: Konkurrenz findet nicht statt. Lothar Bisky wirkt knuffig wie ein Bernhardiner auf Valium, Petra Pau hinterlässt stets den Eindruck, sie wolle unbedingt noch bei den Prinzen mitsingen, und Sahra Wagenknecht, einst die Hoffnung der Anhänger Stalins und des Schminkens mit dem Spachtel, kam tiefer im allesfressenden Westen an als viele, denen sie das vorwarf: Sie verkaufte ihre Hochzeitsfotos an Gala.

Gysi wollte seine Partei dazu überreden, dem Krieg mit einem unmissverständlichen Jein entgegenzutreten, aus dem im Fall einer Regierungsbeteiligung der PDS dann ein unter großem öffentlichem Tränenverguss geborenes Ja werden soll. Das fakultative Nein hätte man für weitere bittere Jahre in der Opposition parat, als Speck für Friedensmäuse. Für dieses Lehrstück in Sachen Opportunismus aber wird die PDS nicht mehr gebraucht. Diese Planstelle haben die etwas schnelleren Grünen besetzt, und die haben sich das Spiel aus der Geschichte der Sozialdemokratie abgekuckt.

Die PDS ist Stützstrumpf und Heulschulter für die oft seltsam und fremd anmutenden Wesen, die man aus Pietätsgründen nicht Zonis nennen soll, aber jederzeit in schäbig verständnistriefendem, Behindertenfreundlichkeit simulierendem Singsang als „die Menschen aus den Neuen Ländern“ diskriminieren darf. Einige von ihnen haben, ganz gegen ihre Gewohnheit und aus welchen falschen Gründen auch immer, ihrer ihnen weit entfleuchten Führung die Gefolgschaft verweigert. Gern hätte sich Gysis Stoßtruppe attestieren lassen, was allgemein „Politikfähigkeit“ genannt wird: die Bereitschaft, den Leichen im Keller jede Menge humanitärinterventiös fabrizierte Tote hinzuzufügen.

Daraus ist vorläufig nichts geworden. Die PDS bleibt, was sie ist: ein Bewährungshilfeverein für Ostdeutsche, die sich seit der Zeit, als „Biografien zerstört“ und „Identitäten weggebrochen“ wurden wie nichts Gutes, von Staates Stecken und Stab nicht mehr genügend geleitet fühlen. Dieses Vakuum füllt die PDS; hier wird die verlorene Heimat gepflegt und der heimatlos Gewordene gepäppelt. Nichts davon ist interessant, aber dass Gregor Gysi verschnupft seinen Rücktritt verkündet, weil die Partei, in der er Karriere machte, seinem eigenen Fortkommen mittlerweile eher schadet als nutzt, das ist doch eine hübsche Fußnote.

WIGLAF DROSTE

Zitat: Mehr als zehn Jahre lang war Gysi das Gesicht und der Mund der PDS, also quasi Schild und Schwert seiner Partei

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen